Wien
NAGA – Schmuck und Asche
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Ausstellung01.02.2012 - 11.06.2012
Die Ausstellung wurde in Kooperation mit dem Völkerkundemuseum der Universität Zürich konzipiert.
Seit jeher faszinieren die Naga mit ihrem Sinn für das Schöne. Als Kopfjäger ehemals von ihren Nachbarn gefürchtet und gemieden, entwickelten sie eine einzigartige materielle Kultur. Die beeindruckende Ästhetik ihrer Handwerkserzeugnisse – der SCHMUCK – war jedoch nicht Selbstzweck, sondern semantisch bedingt. In einer nur von den Naga selbst lesbaren Formensprache berichteten zum Beispiel Textilmuster über die Idealvorstellungen der Gesellschaft, schmückende Ornamente über die soziale Stellung von Frauen und Männern, Figuren aus Holz ließen Verstorbene im Andenken weiterleben. Die Bezeichnung Naga ist der Sammelbegriff für eine Anzahl kulturell und linguistisch verwandter und zugleich höchst vielfältiger Stämme im Grenzgebiet zwischen Indien und Burma. Ein Großteil der Bevölkerung lebt in voneinander unabhängigen Dörfern von Landwirtschaft und Viehzucht; bis vor kurzem gab es kein gemeinsames politisches Zentrum.
Einen drastischen Wandel ihrer Tradition löste im 19. Jahrhundert der kulturelle Einfluss der britischen Kolonialherren Indiens aus, nachdem diese ihre Administration auf die Siedlungsgebiete der Naga ausgeweitet hatten. Im Windschatten der Kolonialherren brachten christliche Missionare in ihrem massiven Bekehrungseifer fast die gesamte Bevölkerung von ihren alten Glaubensvorstellungen ab. Der Mission war ein rascher und durchschlagender Erfolg beschieden: Während im Jahr 1881 erst 13 Christen gezählt wurden, bezeichnen sich heute praktisch alle Naga als solche; zur alten Religion bekennt sich hingegen nur mehr eine Handvoll alter Leute in entlegenen Dörfern. Von christlichen Naga bekommt man heute oft zu hören, dass sie „eigentlich“ bereits Christen gewesen seien und schon an Gott geglaubt haben, bevor ihnen baptistische Missionare aus Amerika die biblische Lehre gebracht hätten. Das Christentum wird heute nicht mehr als eine aus dem Ausland stammende Religion verstanden, sondern liegt vielmehr der kollektiven Identität aller Naga zugrunde. Es vereint die verschiedenen Stämme und tritt somit an die Stelle traditioneller lokaler Identitäten.
Die dritte Welle an drastischem kulturellen Wandel brach über die Naga mit der Unabhängigkeit Indiens im Jahr 1947 herein, mit der Annexion und Eingliederung ihrer Gebiete in das indische Staatsgefüge und den daraus resultierenden kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen der indischen Armee und den Freiheitskämpfern, welche die folgenden fünfzig Jahre bestimmen sollten. Die baptistische Kirche wurde zum Rückgrat und aktiven Sprachrohr eines religiös fundierten Nationalismus, der die Unabhängigkeit vom hinduistischen Indien und die Bildung eines selbständigen christlichen Staates anstrebt. Der Glaube einiger Anhänger der Untergrundbewegungen, dem zufolge Gott die Naga für einen christlichen Staat auserwählt habe, liefert das Argument für das Motto „Nagaland for Christ“.
Heute leben die Naga im Spannungsfeld zweier Pole: einer von Normen und Tabus geprägten Kultur der Ahnen mit hoher ästhetischer Anziehungskraft und einer durch gewaltsame Einflüsse von außen in ihrer Identität mehrfach gebrochenen, völlig veränderten Gesellschaft – der Schmuck zerfiel zu ASCHE. Zwischen Schmuck und Asche suchen die Naga nach ihrer kulturellen Identität. Nur mehr wenige Alte können die Zeichen der Vorväter lesen. Ihre Erinnerungen sind es heute, die der Asche des verbrannten Schmuckes wieder Atem einhauchen und sie zum Glühen bringt – ein Aufglimmen, das der jungen Generation ein Gefühl für ihre eigenständige Identität vermitteln soll.
Seit einigen Jahren trachten Regierung und Kulturvereine danach, im Rahmen so genannter cultural programs mit den alten Symbolen ein neues Selbstverständnis zu inszenieren. Hier tritt eine vermeintliche Tradition auf, die so allerdings nie existiert hat. Alles, was allzu sehr im Widerspruch zum christlich durchtränkten Selbstbild steht, wird ausgeklammert. Diese Form konstruierter Kultur lässt die Jugend schmerzlich bemerken, dass sie keine Anknüpfungspunkte zur vorkolonialen Zeit mehr besitzt. Intellektuelle und so manche Naga-Priester versuchen, in einer von blutigen Freiheitskämpfen geprägten jungen Generation wieder den Stolz auf die Welt ihrer Vorväter zu erwecken, wie er im alten Erzählgut oftmals trefflich formuliert wird. Noch scheint die Frage offen, wohin das Streben nach Identität zwischen Kopfjagd und Bibel, zwischen Dorfstruktur und Nationalgefühl führt und ob aus der Asche wiederum ein Phönix wird aufsteigen können.
Während in Nagaland viele materielle Träger der Tradition auch buchstäblich zu Asche verbrannt sind, ist der Schmuck der Vorväter auf Museen in der ganzen Welt verteilt, wo er heute von der nachkommenden Generation neu entdeckt wird. Eine der weltweit spektakulärsten Sammlungen liegt im Museum für Völkerkunde in Wien. Auch sie ist für die Naga eine Quelle bei der Suche nach ihrer Identität.
Die meisten in der Ausstellung „Naga – Schmuck und Asche“ präsentierten Objekte sammelte der Wiener Ethnologe Christoph Fürer-Haimendorf im Zuge einer 13-monatigen Feldforschung in den Jahren 1936–1937. Er bemühte sich, den vorgefundenen Status quo der materiellen Kultur der Naga in das Wiener Museum zu transferieren. Den größten Teil der Objekte hat er gekauft, wobei Naga, die sich an ihn erinnern, erzählen, dass er dafür sehr gute Preise zahlte. Seine Sammlung reduziert die Kultur der Naga nicht auf die Kopfjagd, wie dies für viele, die sich mit ihr beschäftigen, so verführerisch scheint. Vielmehr berichtet sie, wie die Naga ihre Gesellschaft organisierten, welchen Platz das Individuum darin einnahm, wie sie Feste feierten, wie sie ihre freie Zeit genossen oder wie sie Land in früchtetragende Äcker verwandelten.
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