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RETROSPEKTIVE

WILHELM LEHMBRUCK

RETROSPEKTIVE

Wilhelm Lehmbruck (1881–1919) zählt zu den bedeutendsten Künstlern der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Das Leopold Museum widmet dem einflussreichen Erneuerer und Wegbereiter der modernen europäischen Bildhauerkunst eine erste umfassende Retrospektive in Österreich, bestehend aus rund 50 Skulpturen sowie zirka 90 Gemälden, Zeichnungen und Radierungen.

Die Ausstellung spürt Lehmbrucks künstlerischer Entwicklung von den Jahren an der Kunstgewerbeschule (1895–1899) sowie als Student der Düsseldorfer Kunstakademie (1901–1906) bis hin zu seinen bekanntesten Arbeiten nach. Sie skizziert seinen Weg vom »suchenden«, unterschiedlichste Einflüsse verarbeitenden Frühwerk bis zur Etablierung seiner originären skulpturalen Sprache. Diese deutete sich bereits vor seiner Übersiedlung nach Paris im Jahr 1910 durch den Bruch mit dem Formenkanon seines bis dahin von akademischen Konventionen geprägten Verständnisses von Skulptur an und führt ihn zu einer experimentelleren und abstrahierteren Formensprache, die seine Pariser Zeit zwischen 1910 und 1914 maßgeblich kennzeichnet. Nicht nur die Omnipräsenz der Werke von Auguste Rodin und Aristide Maillol in Paris, auch Lehmbrucks persönliche Begegnungen und Freundschaften mit zeitgenössischen Kollegen wie Alexander Archipenko, Constantin Brâncuși oder Amedeo Modigliani feuerten diese originäre Werkgenese an. Ausgewählte Werke von ihnen sind ebenso in der Schau zu sehen wie Arbeiten von George Minne, Käthe Kollwitz, Ernst Barlach und Egon Schiele.

Zu Lehmbrucks bedeutendsten Exponaten zählen jene, die während des Ersten Weltkrieges bis zu seinem Freitod im Jahr 1919 entstanden sind. Sie spiegeln die Sensibilität und Zerbrechlichkeit von Lehmbrucks Charakter sowie seine zutiefst auf Humanität begründete Haltung wider und zeichnen sich durch eine Introversion der Gebärden bei gleichzeitiger starker innerlicher Beseeltheit der Figuren aus. Es sind Gefühlszustände wie Verzweiflung, Trauer, Scham oder Melancholie, die die In-sich-gekehrten Körper aufladen und ihnen einen besonderen Ausdruck suggestiver Körpervorstellung verleihen.

Auf diese intuitive, seelische Kraft des plastischen Formens bei Lehmbruck verwies in seiner Dankesrede zum Lehmbruck-Preis im Jahr 1986 auch Joseph Beuys, dessen Werk am Abschluss der Schau in Dialog zu Arbeiten von Lehmbruck gesetzt wird. Die Gegenüberstellung der beiden Künstler, die insbesondere im Bereich der Zeichnung hinsichtlich der Aspekte des Flüchtigen und Unabgeschlossenen eine hohe Ähnlichkeit aufweisen, unterstreicht einmal mehr die über seine Zeit hinausweisende Wirkkraft Lehmbrucks. Auch aus gegenwärtiger Perspektive ist sein OEuvre nicht nur kunsthistorisch von größter Relevanz, sondern in Anbetracht weltpolitischer Ereignisse von höchster Aktualität.

Kurator: Hans-Peter Wipplinger






  • 08.04.2016 - 04.07.2016
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