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Rasterfahndung

Das Raster in der Kunst nach 1945

Rasterfahndung

Das Raster bestimmt wie keine andere Struktur die Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts. Für die Avantgarde, für Piet Mondrian oder die Bauhaus-Bewegung, ist dies weitreichend erforscht; die Bedeutung des Rasters in der Kunst seit 1945 wurde jedoch noch nie im Überblick dargestellt. Die Sonderausstellung »Rasterfahndung. Das Raster in der Kunst nach 1945«, die von 5. Mai bis 7. Oktober 2012 im Kunstmuseum Stuttgart präsentiert wird, schließt diese Lücke am Beispiel von 50 Künstlern. Auf 2.500 Quadratmetern Ausstel- lungsfläche werden Werke von Sigmar Polke, Chuck Close oder Roy Lichtenstein zum Thema Raster befragt. Auch zahlreiche Arbeiten junger Künstler wie Esther Stocker, Sarah Morris, Michiel Ceulers und Tim Stapel machen das immense gestalterische Potenzial der Rasterstruktur deutlich. Für die großzügig von der Kulturstiftung des Bundes sowie der Stiftung Froehlich und HUGO BOSS geförderte Sonderschau sind sieben große Raum- oder Wandarbeiten entstanden.

Als eigenständiges Bildthema begegnet das Raster erstmals bei Piet Mondrian, der 1918 eine Bildfläche mit einem gleichmäßigen Raster überspannte und die einzelnen Felder mit unterschiedlichen Farben ausfüllte. In den 1920er Jahren malte er die Rasterbilder, für die er heute berühmt ist. Seit Mondrian – so die These der amerikanischen Kunsthis- torikerin Rosalind E. Krauss in dem bis heute zentralen Aufsatz zum Thema aus dem Jahr 1978 – wird das Raster zum bestimmenden Thema der Kunst. Umso erstaunlicher, dass es seither keine intensivere Beschäftigung damit gegeben hat und speziell das Ras- ter in der Kunst seit 1945 noch nie in einer Ausstellung dargestellt wurde.

Von Mondrian ausgehend entwickelte die konkret-konstruktive Kunst ein großes Inte- resse am Raster. Es diente Künstlern wie François Morellet und Manfred Mohr als for- male Struktur, die mathematisch-logisch in Serien durchdekliniert wurde. Wichtig für diese Kunstrichtung ist die rationale Nachvollziehbarkeit aller visuellen Phänomene. Auch die Frage der Farbverteilung innerhalb einer regelmäßigen Struktur beschäftigte zahlreiche Künstler und bewog beispielsweise Gerhard Richter Ende der 1960er zu sei- ner bis heute fortdauernden Serie zum Farbraster.

Im ersten Kapitel der Ausstellung unter dem Motto »Ins Raster passen« wird dieser formalen Annäherung ans Raster über die Jahrzehnte hinweg nachgegangen: sie be- stimmte nicht nur die Konkrete Kunst, sondern auch die international bekannte ZERO- Bewegung. In Deutschland, Frankreich, Italien und den Niederlanden entstand zeitgleich mit Künstlern wie Günther Uecker, Gianni Colombo oder Jan Schoonhoven eine ein- flussreiche Strömung, die das Raster nutzte, um Oberflächen optisch in Bewegung zu versetzen. Und in den USA kommt mit der Minimal Art eine Kunstrichtung auf, die an formalen Fragen der Reihung interessiert ist.

Über Fragen zur optischen Wahrnehmung entstand eine Richtung, die sich des Rasters ganz anders bediente: die Pop Art. Die massenhafte Reproduzierbarkeit von Bildern regte Künstler an, das Druckraster zum ästhetischen Merkmal zu erheben. Künstler wie Roy Lichtenstein entwickelten aus dem Prinzip des Punktrasters ihr Lebenswerk. Auch in Deutschland war für Künstler wie Thomas Bayrle das Raster in seiner bildgenerie- renden Funktion ein wichtiger Ansatzpunkt. Das Raster wird hier nicht mehr formal beg- riffen, sondern verweist auf gesellschaftliche Themen der Moderne. Das zweite Kapitel »Das mediale Raster« stellt diesen Aspekt mit wesentlichen Werken dar, so mit Polkes »Großer Mann« und »Kleiner Mann«.

Als technisches Hilfsmittel für die perspektivische Übertragung von Raum auf eine Flä- che wird das Raster schon seit der Renaissance eingesetzt. Künstler wie Agnes Martin, Frank Badur oder Fiene Scharp reflektieren diese lange Tradition des Rasters in der Zeichnung in eigenständigen Anwendungen und Übersetzungen. Katharina Hinsberg baut für die Ausstellung ein begehbares Raster aus Schnüren mit roten Kugeln, die beim Durchlaufen in Schwingungen geraten. Das regelmäßige Koordinatensystem des Ras- ters, das uns aus Karten, Tabellen und Rechensystemen vertraut ist, wird dadurch in Bewegung versetzt und gestört.

Die Störung des Rasters ist Thema des dritten Kapitels »Durchs Raster fallen«: das Aufbrechen der Systematik, die Fehlstelle, die asymmetrische Reihung fasziniert vor al- lem eine jüngere Künstlergeneration (Esther Stocker, DAG, Tim Stapel oder Michiel Ceulers). In unterschiedlichen Techniken und Fragestellungen beschäftigen sie sich mit dem ›Fehler im System‹. Katharina Gaenssler beispielsweise entwarf für die Ausstel- lung eine neue Wandarbeit, für die sie über Wochen hinweg das Wohn- und Atelierhaus von Hanne Darboven fotografierte. Darboven, von der an anderer Stelle in der Ausstel- lung eine Zeichnungsserie zu sehen ist, erfasste nach einem eigenen mathematischen Verfahren in streng geordneten Aufzeichnungen zeitliche Abläufe. Dass ausgerechnet diese Künstlerin in ihrem Wohnhaus das Gegenteil zu dieser geordneten Systematik auslebte, macht Gaensslers multiperspektivische Wandarbeit auf besondere Weise sichtbar – und damit auch die Grenzen jeder Ordnung.

Die offene Architektur des Kunstmuseum Stuttgart ermöglicht immer wieder, die im Erd- und Untergeschoss präsentierten Werke miteinander in Beziehung zu setzen. So kann die Bodenarbeit von Tim Stapel und die von Carl Andre gleichzeitig betrachtet werden. Tim Stapel setzt dem im Erdgeschoss platzierten Schachbrett von Andre im Untergeschoss ein gebrochenes Raster entgegen. Dieses wurde in strenger Logik ent- wickelt, indem Stapel den Grundriss der unteren Etage des Kunstmuseums virtuell zu- sammenfaltete.








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