HUBERT BLANZ. In Search of Radiant Cities
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Ausstellung22.11.2022 - 13.01.2023
Indem Hubert Blanz die Vielfalt von Autobahnen, Gerüstplanen auf Baustellen (Schwere Wolken, 2019), Aussichtsplattformen und Flachdächern (The Fifth Face, 2010–2012), Gullideckeln (Industrial Scan – Wien, 2013) oder Kanalsystemen aus Kunststoffrohren (Industrial Scan – Rhizom, 2013–2015) aufzeichnet, gewinnt er dem Alltäglichen ungeahnte Facetten ab. Den Kontext dafür bildet die Maschinerie der Großstadt, geprägt von Industrialisierung, Massenproduktion und Menschenmengen. Die Konstruktion der Objekte zu vielschichtigen Netzwerken und labyrinthartigen Strukturen verweist auf die mitunter verborgenen Ordnungen, die der modernen Stadt zugrunde liegen und steht in unmittelbarer Beziehung zu ihrer Dichte und Mannigfaltigkeit. Das Bild der Stadt, das Blanz zeichnet, ist ein Konglomerat überwältigender Materialität, ein lebendiges Ensemble historischer Schichten, ein (ir)realer Ort und ein Synonym für die Unüberschaubarkeit der Welt.
In seiner jüngste Werkserie La Valeur de La Vie. Auf der Suche nach den strahlenden Städten (ab 2019) widmet sich Blanz den Pariser Villes Nouvelles und Banlieues. Auch diese Recherche beeindruckt allein schon durch ihren Umfang von über 4000 Fotos, die während eines dreimonatigen Aufenthalts in Paris als Vorlagen für die digitalen Fotocollagen entstanden sind. Von den Planstädten in der Peripherie hat Blanz bevorzugt jene Wohnsiedlungen ausgewählt, die nicht nur im Sinne der modernen Stadtplanung eine radikale Setzung darstellen, sondern sich durch ihre postmoderne Ausprägung und ihren Wahrzeichen-Charakter auch deutlich von den funktionalen Bauten der 1960er- und 1970er-Jahre abheben. Zu den porträtierten Objekten zählt etwa der 1984 fertiggestellte Wohnkomplex Les Espaces d’Abraxas des katalanischen Architekten Ricardo Bofill, eine monumentale, als „Versailles für das Volk“ konzipierte Anlage, deren auf den Innenhof ausgerichtete Fassade mit ihren antikisierenden Säulen, Renaissance Tempietti aus Betonfertigteilen und verspiegelten Halbsäulen ebenso hochherrschaftlich wie absurd und surrealistisch anmutet. Außerdem sei hier stellvertretend für die insgesamt fast 40 dokumentierten Gebäudeensembles noch Les Arènes de Picasso von Manuel Núñez genannt – ein ähnlich theatralischer Ort, der vor allem wegen der zwei markanten Hochhausscheiben, die den zentralen achteckigen Platz einfassen und als Allegorie auf den Sonnenaufgang konzipiert wurden, bekannt ist.
Heute sind die Planstädte größtenteils zu Ghettos und sozialen Brennpunkten mit hoher Arbeitslosigkeit und Kriminalität verkommen, während sich die mit ihrem Bau verknüpften Vorstellungen vom besseren Leben zerschlagen haben. Blanz’ Aufmerksamkeit gilt allerdings weniger den konkreten Lebensbedingungen oder dem Scheitern der sozialen Vision, als vielmehr dem futuristischen Potenzial und der Energie, die den gigantischen Wohnkomplexen nach wie vor innewohnen. Seine Collagen greifen die Ideen der Postmoderne, wie die Vermischung der Stile, das Zurückgreifen auf historische Elemente und den ironisch-spielerischen Umgang mit bekannten Bauformen auf. Die Details der Gebäude, die er aus allen möglichen Perspektiven fotografisch erfasst hat, werden zu Bausteinen für ornamentale Muster, die mit denselben Kompositionsprinzipien wie die Architektur spielen: Wiederholung und Spiegelung. Die fotografischen Vorlagen werden gekippt, gedreht und ineinandergeschoben. Die geometrischen Komplexe und Territorien, die aus seinem fantasievollen Umgang mit den reproduzierten Oberflächen der Hausfassaden und Wandflächen entstehen, erinnern an Stadtlandschaften in Computerspielen. Die konstruierten Bildräume sind komplexe Labyrinthe mit verschiedenen Ebenen, absurden, unendlichen Fluchten und einander widersprechenden Perspektiven, in denen sich die Schwerkraft teilweise aufzulösen scheint. Ihre räumliche Einheit wird durch die Mittel der Montage konstant außer Kraft gesetzt. Wie bei einem Kaleidoskop sind die Spezifika der Umgebung, aus der sie stammen, ihre Formen und Farben, in den einzelnen Fragmenten zwar noch gut zu erkennen, ihr Zusammenspiel entführt die Betrachter*innen jedoch in andere, imaginäre Sphären. Die zuvor bereits für das Oeuvre von Blanz als typisch beschriebenen Ambivalenzen zwischen einem umfassend dokumentierten und zugleich keine Orientierung bietenden Variantenreichtum und zwischen einer authentischen und gleichermaßen an die digitale Matrix gekoppelten Materialität sind auch hier gültig. Zusätzlich werden sie um eine weitere Ebene bereichert, nämlich um die Ambivalenz zwischen der Faktizität der architektonischen Details und der Kreation einer Utopie. Utopie ist dabei im Sinne der wörtlichen Übersetzung des Begriffs aus dem Griechischen als „kein Ort“ zu verstehen. Aus Versatzstücken der Wirklichkeit schafft Blanz neue Städte, die nirgendwo zu finden sind. Obwohl sie von dieser Erde sind, sind es unmögliche, fantastische Orte. Seine Reise durch die Satellitenstädte changiert ebenso wie seine Reise auf den Spuren Darwins zwischen Realität und Virtualität. Einmal mehr wird deutlich, wie sehr seine Werke eine zeitgenössische Welterfahrung, in der ein Wechsel zwischen realer und virtueller Welt kontinuierlich von einem Moment auf den anderen stattfindet und die Wahrnehmung der uns umgebenden Materialitäten nahtlos in die der Computerwelten übergeht, in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit verkörpern.
- Dr. Annette Südbeck, Kuratorin und Geschäftsführerin Secession (Ausschnitt Katalogtext) -
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