Neue Galerie Graz
Günter Brus und Alfons Schilling um 1960: Ausstieg aus dem Bild im BRUSEUM eröffnet
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Ausstellung19.11.2021 - 13.02.2022
Die Ausstellung im BRUSEUM nimmt ein wesentliches Kapitel der österreichischen Nachkriegskunst in den Fokus: die Adaption und Überwindung des Informel um 1960.
Günter Brus und Alfons Schilling lernten sich 1958 in der Klasse für Malerei an der Akademie für angewandte Kunst in Wien kennen. Beide waren unzufrieden mit der Ausbildung und suchten Anschluss an die internationalen Tendenzen der Zeit. Die neue Ausstellung im BRUSEUM beleuchtet noch bis 13. Februar 2022 anhand zentraler sowie nahezu unbekannter Arbeiten jene kurze Zeit um 1960, in der Günter Brus und Alfons Schilling über die Malerei des Informel zu ihrer international bedeutsamen Neuausrichtung der Kunst fanden.
Wien vor 1960
Wien war in den 1950er-Jahren ein „versumpftes Loch“ mit unbelehrbaren Bewohner*innen, die „noch immer diese Nazi-Ideologie“ im Hirn hatten (Markus Prachensky). Alles, was neu war, egal ob es in der Literatur, der Musik oder der bildenden Kunst war, wurde angefeindet. Es gibt lediglich zwei Galerien, die sich durch ein dezidiert avantgardistisches Programm auszeichnen: die Galerie Würthle und die Galerie St. Stephan (später: Galerie nächst St. Stephan). Im Jahr 1957 begründen Wolfgang Hollegha, Josef Mikl, Markus Prachensky und Arnulf Rainer, die sich an der Akademie der bildenden Künste kennengelernt hatten, die Gruppe „Galerie St. Stephan“. Die vier Schützlinge von Monsignore Otto Mauer bekommen ein Mitspracherecht beim Galerienprogramm und holen internationale Künstler wie Wols, Georges Mathieu oder Hans Hartung nach Wien. Am 2. April 1959 zeigt Georges Mathieu im Theater am Fleischmarkt in Wien eine seiner öffentlichen Schaumalereien. Er malt zur Musik von Pierre Henry in fünfzig Minuten ein 600 x 250 cm großes Bild. Zuvor führt Prachensky seine Malaktion „Peinture Liquide“ durch, bei der er von oben literweise rote Farbe über eine aufrecht stehende 400 x 1000 cm große, weiße Leinwand rinnen lässt. Das erste Schüttbild Wiens wird aber nach Fertigstellung vom Künstler zerstört, da es ihm um ein Ereignis in der Zeit und nicht um das fertige Bild geht. Das Wiener Publikum war zu großen Teilen empört und voller Unverständnis für diese Form der Schaumalerei.
Günter Brus und Alfons Schilling lernen sich 1958 in der Klasse für Malerei an der Akademie für angewandte Kunst in Wien kennen. Beide sind unzufrieden mit der Ausbildung und suchen Anschluss an die internationalen Tendenzen der Zeit. Die Malaktionen am Fleischmarkt haben beide nicht gesehen, doch ist der kritische Widerspruch zur abstrakten Malerei ihrer Zeit ein prinzipieller Ausgangspunkt und Antrieb ihrer Kunst.
Mallorca
Nachdem beide Künstler die Akademie 1959 nach Konflikten mit dem Lehrpersonal ohne Abschluss verlassen, fahren sie Ende Jänner 1960 gemeinsam nach Puerto de Andraitx. „Es war eine Schlüsselzeit für Brus und Schilling, eine befruchtende Zeit und es war schnell klar, dass wir diese Künstler gemeinsam ausstellen“, erklärt Kurator Roman Grabner.
Auf Mallorca lernen sie die junge amerikanische Künstlerin Joan Merritt kennen, die sie mit ihren abstrakt-expressionistischen Bildern tief beeindruckt. Schilling beendet in Mallorca seine expressive Malerei im Stile Gustave Courbets und arbeitet an Bildern, für die er neben Farben auch Sand, Gips, Ziegel und Metallteile verwendet. Brus versucht sich in freien Zeichnungen von den akademischen Formen zu lösen. Der Weg zur gestischen Formensprache führt bei Brus einerseits über den Kubus und seine architektonische Verschachtelung, andererseits über den menschlichen Körper und seine strukturelle Rückführung auf geometrische Formen. Augenfällig an den Zeichnungen ist die Auseinandersetzung mit dem Werk Fritz Wotrubas und seiner Tektonisierung der Anatomie und die Nähe zu utopischen Entwürfen der zeitgenössischen Architekturavantgarde. Brus geht einerseits vom Motiv der „Liegenden“ aus und transformiert die Kuben zunächst in Zylinder, um diese sukzessive immer dynamischer und unabhängiger von der Körperform ins Bild zu setzen. Die Autonomisierung der Form führt zu einer Autonomisierung der Geste und am Ende bleibt ein All-over sich überlagernder Kreisformen. In einer zweiten Entwicklung zergliedert er einen Kubus und vermehrt seine Einzelteile wie bei einer biologischen Zellteilung. In Mallorca bedeckt er diese Konglomerationen sodann mit Schraffen, um diese schließlich zu verflachen und als autonome Strichbündel zu überlagern. Zum Zeichnen legt er das Papier direkt auf den Steinboden, dreht das Blatt mehrmals, um eine klare Zuordnung von oben und unten auszuschließen, und bearbeitet es mit dem Bleistift so heftig, dass es aufreißt.
Nachdem Brus von Barcelona per Anhalter zurück in die Steiermark gefahren ist, verbringt er den Sommer im Haus seiner Eltern in Gießenberg. Er arbeitet mit schwarzer Kunstharzfarbe auf ungrundiertem Packpapier und fertigt Bilder an, die seinen Durchbruch zu einer rein gestisch bestimmten Ausdrucksform zeigen.
Rückkehr nach Wien
Im Sommer 1960 besuchen beide Künstler unabhängig voneinander die XXX. Biennale von Venedig, wo sie Werke von Emilio Vedova, Francis Kline und Philip Guston im Original sehen, die sie in ihrem Tun bestärken. Zurück in Wien entwickeln Brus und Schilling eine gestische Malerei, die den Bildraum völlig ignoriert. Man trifft sich beinahe täglich, studiert den Katalog der documenta II und diskutiert die Herausforderungen der Malerei nach Pollock. Beide Künstler streben nach einer sich in alle Richtungen gleichwertig entwickelnden, expansiven Malerei. Schilling proklamiert eine „totale Malerei“, die allerdings ohne Manifest bleibt.
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19.11.2021 - 13.02.2022
Günter Brus und Alfons Schilling um 1960
Ausstieg aus dem BildSoft Opening: 18.11.2021, 17‒22 Uhr
Laufzeit: 19.11.2021‒13.02.2022
BRUSEUM, Neue Galerie Graz, Joanneumsviertel, 8010 GrazKuratiert von Roman Grabner
www.bruseum.at