LEOPOLD MUSEUM
Carl Spitzweg – Erwin Wurm. Köstlich! Köstlich?
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Ausstellung25.03.2017 - 19.06.2017
Rund 130 Jahre nach dem Tod des „beliebtesten deutschen Malers“ präsentiert das Leopold Museum die erste Ausstellung von Carl Spitzweg (1808–1885) in Österreich, dessen Werk gemeinhin in engem Konnex mit den mit der Epoche des Biedermeier verbundenen Definitionen von Beschaulichkeit, kleinbürgerliche Idylle und Spießbürgertum gesehen wird. Obwohl das Biedermeier das spezifische kulturhistorische Fluidum von Spitzwegs Œuvre darstellt, greift die herkömmliche Definition in Fall des Künstlers bei Weitem zu kurz. Sie verhindert eine komplexere und progressivere Lesart des Spitzweg’schen Denkens und Schaffens, zu dem – wie die rund 100 präsentierten Exponate deutlich machen – auch die Analyse von sozialen Hierarchisierungen respektive Herrschaftsverhältnissen, die Durchleuch tung der Geschlechterbeziehungen oder die subtile Infragestellung von Harmonie in einer vorgeblich heilen Welt gehören.
„Mit dem Scheitern der Ideale der Französischen Revolution durch die im Schat- ten des Wiener Kongresses 1815 eingeleitete Restaurationszeit Metternich’scher Manier, die bis zum Revolutionsjahr 1848 andauern sollte, folgte mit dem sogenannten Biedermeier ein Rückzug ins Private, welcher fundamentale Auswir- kungen auf individuelles Leben, Religion, Moral, Gesellschaft und Politik zeitigte. Spitzwegs Werk, das gemeinhin – und oft fälschlicherweise – in die Kategorie harmloser Biedermeierkunst eingeordnet wird, spiegelt die Auseinandersetzung mit den politischen Entwicklungen jener Zeit in vielfacher Weise wider.“ Hans-Peter Wipplinger, aus dem Katalog zur Ausstellung
Um das Bild Carl Spitzwegs als „harmlosen“ Biedermeierkünstler zurechtzu rücken und bisher nicht ausgeschöpfte Rezeptionspotenziale zu erschließen, fokussiert die Ausstellung explizit auf das gesellschafts und zeitkritische Werk des Künstlers. Sie stellt seine mit sanfter Ironie vorgetragene, aber unzweifel hafte Kritik am oftmals scheinheiligen, weil hedonistischen Klerus, an der kor rupten oder gelangweilten Legislative wie Exekutive oder am saturierten Bürger und Beamtentum in den Mittelpunkt. Gleichzeitig erschließt die Auseinandersetzung mit Spitzwegs Werk die Aktuali tät seiner Themen, die sich in der „Generation Biedermeier“ des 21. Jahrhunderts wiederfinden. An dieser thematischen Schnittstelle treten Spitzwegs Gemälde und Zeichnungen im Kontext der Ausstellung in einen Dialog mit 15 präzise gesetzten fotografischen wie skulpturalen Interventionen des österreichischen Gegenwartskünstlers Erwin Wurm (geb. 1954). Ähnlich der Spitzweg’schen Manier weist auch Wurms Werk vielfältige Facetten der Poesie und Idylle, des Humors und der (Selbst)Ironie auf und ist reich an politischen und kulturanaly tischen Anspielungen. Beide Œuvres verbindet ein kritischreflektierter Humor, der als Waffe eingesetzt, den Alltag aus anderer Perspektive zeigt und damit vielschichtige Dimensionen evoziert.
„Die Haltung des Humors muss man charakterisieren als ein Sichdistanzieren (...), allerdings nur im Modus des Vorstellens, genauer des Vorstellens von lauter alternativen Möglichkeiten. (...) Das Abstandnehmen vom eigenen Selbst aber überträgt sich mittels Empathie auf ein Distanzieren hinsichtlich dessen, was man vom Anderen wahrnimmt und auffasst. Auch hier legt der Humor nichts fest, sondern lässt es von lauter vorgestellten Alternativen begleiten, von einem Kaleidoskop sich ändernder Perspektiven, die ebenfalls zutreffen könnten.“ Burghart Schmidt, aus dem Katalog zur Ausstellung
Der epochenübergreifende, dialogische Ansatz der Ausstellung lässt sich über die einzelnen thematischen Kapitel der Präsentation nachverfolgen. So treten die klein städtischen Bilder Carl Spitzwegs, die durch eine präzise und detailreiche Konzeption getragen sind, im ersten Raum in einen Dialog mit Erwin Wurms Arbeit Narrow House von 2010. Spitzwegs Werke gleichen hierbei nur auf den ersten Blick idyl lischen Stadtszenerien, die mit volkstümlich gekleidetem Personal – vornehmlich Wachposten, Musikanten, Sänger und weibliche Darstellerinnen – bevölkert sind. Bei genauerer Betrachtung zeichnen sich feudale, hierarchische, patriarchalische und autoritäre Strukturen ab, die auf das System bornierter Beschränkungen verweisen, das geprägt war von den in Spitzwegs Epoche gültigen Moralvorstellungen. Das Leben gestaltet sich in diesen Bildern, so Christian Jensen, „zugestellt mit Schranken, vermauert mit kleinlichem Gewinkel, voller Zwänge“. Den Eindruck von kleinlichem Gewinkel vermittelt auch Wurms Arbeit Narrow House, die das Elternhaus des Künstlers in Volumen und Proportionen verändert zitiert, um damit auf die gesell schaftliche Enge vergangener Jahrzehnte zu reflektieren.
Doch nicht nur den moralischen Zwängen seiner Zeit, sondern auch den bundes staatlichen Strukturen wie den legislativen, exekutiven und judikativen Organen begegnete Carl Spitzweg mit Ironie und übte mit chiffrierten Strategien Kritik an bestehenden Verhältnissen. Zahlreiche Werke des Künstlers offenbaren seine spöt tische Haltung gegenüber den Mächten des Staates, seien es Zollbeamte, Wach posten oder Bürgersoldaten. Die Beschäftigungslosigkeit der Uniformierten in den friedlichen Zeiten nach den Napoleonischen Kriegen verleitete Spitzweg zu grotes ken Darstellungen wie strickenden Soldaten. Doch Spitzweg scheute auch nicht vor der Thematisierung von Korruption und Ungerechtigkeit im Überwachungsstaat zu rück. Die Aktualität dieser Themen wird durch Erwin Wurms Arbeit New York Police Cap Gold von 2010 unterstrichen, welche der Polizeikappe überdimensionale Größe verleiht und die Betrachtenden dazu einlädt, sich unter dieses nicht nur schützend, sondern auch bedrohlich wirkende Symbol des Rechtsstaates zu stellen.
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25.03.2017 - 19.06.2017
Täglich außer Dienstag: 10–18 Uhr*
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