LEOPOLD MUSEUM
Carl Spitzweg – Erwin Wurm. Köstlich! Köstlich?
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Ausstellung25.03.2017 - 19.06.2017
„So viele Darstellungen Spitzwegs beschäftigen sich mit Grenzern, Zöllnern, Wachposten in vielen Kontrollsituationen, die sich um Pässe und Personalaus- weise drehen. Wurm konfrontiert sie mit einer Skulptur, die eine perfekte über- große Uniformkappe darstellt. Das allein reicht schon, um die unheimliche Situa- tion der bürokratischen Identitätsüberprüfung wachzurufen. Bei Spitzweg war es die Klage über ein durch lauter Kleinstaatsgrenzelei zerstückeltes Mitteleuropa, in Wurms Zeit geht es um die drohende Wiederverschließung der Grenzen.“ Burghart Schmidt, aus dem Katalog zur Ausstellung
Weitere Bereiche der Ausstellung widmen sich Carl Spitzwegs Passion der Dar stellung widersprüchlicher Charaktere, die den Künstler nicht nur als Chronisten seiner Zeit, sondern insbesondere auch als sensiblen Psychologen erkennen lassen. So finden sich in seinen Bildern scheinbar fromme Mönche, die sich ver meintlich asketisch von der Zivilisation in ihre Eremitenhöhle zurückgezogen haben, hier jedoch einer durchaus lustorientierten Lebensweise frönen. Auch ins Schrullige gesteigerte GelehrtenDarstellungen, mit welchen Spitzweg die Wissenschaftsgläubigkeit seiner Zeit ironisierte, finden sich in vielen Arbeiten des Künstlers. Zu ihnen gesellen sich Erzählungen von Spießbürgern in ihrer Frei zeitbeschäftigung als „Sonntagsjäger“ und vom nicht nur realen, sondern auch moralisch gesehenen rechten Weg abkommenden „Schulmeisterlein“. Ihr Gegen über finden sie innerhalb der Ausstellung in One Minute Sculptures und anderen Werken Erwin Wurms, welche oftmals– ebenso wie Spitzwegs Gemälde – Situationskomik mit einer gesellschaftskritischen Note vermengen.
„Inmitten gefährdeter Idyllen finden sich in den Spitzweg’schen Szenerien zahlreiche gebrochene Charaktere. Diesen vermeintlich eigenbrötlerischen Sonderlingen (...), die beim Nachgehen ihrer mitunter skurril erscheinenden All- tagstätigkeiten zugleich immer ein Hauch von Resignation und Widerständigkeit umweht, gilt dabei Spitzwegs große Sympathie. Dies ist umso bemerkenswerter, da es sich – in einer Zeit der politischen Restauration nach dem Wiener Kongress 1815 und damit in einer Periode konformistischer Verhaltensweisen – beim Spitzweg’schen Personal oftmals um klassische Anti-Idealtypen handelt, die gemeinhin als nicht systemkompatibel erschienen.“ Hans-Peter Wipplinger, aus dem Katalog zur Ausstellung
Diese subtile Psychologisierung der Charaktere seiner Zeit brachte Spitzweg von 1844 bis 1852 auch in die Satirezeitschrift Die Fliegenden Blätter ein. Diese wöchentlich publizierte Zeitschrift warf zu Spitzwegs Zeiten trotz Pressezensur aktuelle politische Fragen auf und charakterisierte das deutsche Bürgertum – vor allem in Gestalt des später den Namen der ganzen Epoche prägenden Bildungs bürger „Weilland Gottlieb Biedermaier“ – treffsicher. Als durchaus gesellschafts politisch aufgeladene Typendarstellung ist auch Der arme Poet von 1838 – das wohl berühmteste Gemälde Spitzwegs – zu verstehen, das zwei gegensätzliche Momente auszeichnet: Einerseits besagt es, dass ein Künstler, dessen Tätig keit gemeinhin als müßiggängerisch angesehen wird, ein unbeschwertes, von gesellschaftlichen Normen und Konventionen unabhängiges, ja fast trotziges Dachstubendasein führt. Andererseits vermittelt die dargestellte Szenerie etwas Beklemmendes, da sie Armut und damit Existenzgefährdung repräsentiert. So er heiternd das Motiv zunächst wirken mag, so sehr ist es auch eine sozialkritische Äußerung über die prekäre Situation des Künstlerdaseins.
Vor dieser schwierigen Situation war der finanziell unabhängige und zeitlebens unverheiratete Maler Carl Spitzweg gefeit, der ursprünglich die Ausbildung zum Apotheker abschloss, und sich erst ab 1833 autodidaktisch zu einem begna deten Zeichner und herausragenden Koloristen ausbildete. Seine Entscheidung als Hagestolz zu leben, hielt ihn jedoch nicht davon ab, in seinen Bildwelten von Lust und Begehren zu erzählen, wie die beiden abschließenden Kapitel der Ausstellung aufzeigen. Vorwiegend sind es Konstellationen, bei denen männ liche Protagonisten dem weiblichen Geschlecht sehnsuchtsvoll begehrend bis lüstern hinterherblicken oder erkennen müssen, dass die schöne Jugendzeit der Vergangenheit angehört. So wie Spitzwegs Charaktere ihre Eitelkeiten ausleben und sehnsüchtig nach Liebesabenteuern suchen, verkörpert auch Erwin Wurms Ärgerbeule von 2007 die Lust nach dem Abenteuer, der „kopflos“ nachgegangen wird. Mag man auf den ersten Blick von der Tatsache abgelenkt sein, dass der bequem gekleideten Figur mit hellrosa Oberteil der Kopf fehlt, offenbart sich auf den zweiten Blick die unverblümt nach Aufmerksamkeit gierende Beule in dessen Hose. Offensichtlich steht die Implikation von Lust, Begierde oder gar Liebe und Partnerschaft, ebenso wie die Thematisierung von Jugendlichkeit und Vergänglichkeit bei Wurms Skulptur ebenso im Mittelpunkt, wie in zahlreichen Gemälden Spitzwegs.
Auch wenn Carl Spitzwegs subtile Charakterstudien von ihrem Erscheinungsbild biedermeierlich geprägt sind, haben seine Werke voll von subtilen Psychologisie rungen nichts von ihrer Schlagkraft verloren. Der diese Ausstellung prägende, auf Ironie und Humor basierende künstlerische Dialog zwischen Spitzweg und Wurm unterstreicht die Aktualität von Spitzwegs Themen, die nicht aus historischer Distanz heraus lächelnd betrachtet, sondern vielmehr in Bezug zum aktuellen politischen Geschehen gesetzt werden können.
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25.03.2017 - 19.06.2017
Täglich außer Dienstag: 10–18 Uhr*
Donnerstag: 10–21 Uhr*
*Dienstag geschlossenVOLLPREISTICKET € 12,00