Lebenslust & T
Lebenslust & Totentanz. Olbricht Collection
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Ausstellung18.07.2010 - 07.11.2010
Der Mensch in der Endlichkeit seines Daseins und mit seinem Wissen um die eigene Sterblichkeit unterscheidet sich von anderen Lebewesen nicht zuletzt durch den Umstand, dass er sein Treiben und Dasein, sein Leben, Lieben und Sterben als Zeugnis seiner Kultur lange vor dem Aufkommen von Schrift in Form bildlicher Darstellungen für die Nachwelt festhielt. Das Bild als Ausdrucksmittel fungiert folgerichtig seit Jahrhunderten als Beleg für das Mysterium komplexer kulturhistorischer Traditionen und speichert das kulturelle Gedächtnis in Form einer ikonischen Schöpfung auf eindrucksvolle Weise. Bestimmte ikonografische Stoffe kehren seit Jahrhunderten in verschiedenen Ländern, Kulturen und Zeiten wieder. Nach einer Erklärung von Carl Gustav Jung (1875–1961) machen die unterschiedlichen Kulturen dieselben Entwicklungsstufen durch und schaffen auf der Basis eines „kollektiven Unbewussten“ ähnliche Mythologien aufgrund psychologischer Bedürfnisse.
REAKTIVIERUNGS- UND REAKTUALISIERUNGSVERSUCHE VON VERGANGENHEIT
Zahlreiche Zeugnisse vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart finden sich in dieser Ausstellung nebeneinander und werfen durch das Präsentieren der Artefakte nach Wahlverwandtschaft die Frage auf, inwieweit sich die Bedeutungsebenen der Bildwelten von Renaissance und Barock (und davor naturgemäß ihre Beziehungsmatrix im Kontext antiker Bildtraditionen) bis in die Gegenwart verändert haben oder in ihrer Grundstruktur gleich geblieben sind. Die Methoden des Zugriffs auf und die künstlerische Auseinandersetzung mit den Vor-Bildern vergangener Epochen sind dabei äußerst vielfältig: reflektierendes Zitieren aus dem Vokabular des kunsthistorischen Bilderschatzes, praktiziert durch kritisch-ironisierende Ausformulierung; Negation von und Bruch mit historischem Datenmaterial (Avantgarde); Aneignung, Imitation oder Übernahme bestimmter Stile (Historismus, Postmoderne); Beschäftigung mit Relikten, aus denen reale oder erfundene Aussagen im Sinne der Spurensicherung Ergebnisse (unter anderem von Konzeptkünstlern) liefern; soziologisch-psychologische Vergleichsanalysen und Hinterfragung von etablierten Positionen. Es wären noch weitere Verfahren zu nennen.
Auch bei den Exponaten der Ausstellung schwingt „Erinnerung als ästhetische Kategorie“ immer mit. Doch der Unterschied zwischen Vergangenheit und Gegenwart wird eingeebnet angesichts der Grundfragen des Lebens, die sich der Mensch zu allen Zeiten gestellt hat und deren Beantwortung auch und vor allem in der Kunstproduktion seit jeher ihren Niederschlag fand. Der Kulturhistoriker Johan Huizinga (1872–1945) spricht in seinem Buch „Herbst des Mittelalters“ von der „Sehnsucht nach schönerem Leben“ und den drei möglichen Wegen, es zu erlangen: die Verschiebung des Glückszustandes ins Jenseits, die Verbesserung und Vervollkommnung der diesseitigen Welt (ein Streben, das erst im 18. Jahrhundert aufkam) und die Flucht aus der Wirklichkeit in Fantasie und Traum. Kunst als spannender Gesamtentwurf von Bedeutungsproduktion – im Besonderen auch in den Vorstellungen von Glück – entsteht gerade durch das Verknüpfen, Zusammenstellen und Kombinieren von materiellen und semantischen Modulen sowie durch ein archivarisches Agieren und Arrangieren. Eine künstlerische Untersuchung in Form einer Zustandsbeschreibung der Welt kann folglich erst dann sinnstiftend stattfinden, wenn formale und diskursive Überlappungen kategoriale Distanzen – auf kulturideologischer wie kunsthistorischer Ebene – überwinden.
Wie auch immer Künstlerinnen und Künstler die gegenwärtige Wirklichkeit in Anbetracht historisch vermittelter und damit immer auch gefilterter Traditionsmuster wahrnehmen und darauf reagieren, sie ermöglichen Ahnen und Staunen, Wahrnehmen und Erkennen. Jene Kategorien des Wunderns also, denen sich der Sammler Thomas Olbricht verpflichtet fühlt und die ein ganzheitliches Verständnis von Welt und Sein befördern und differenziertere Wahrnehmungen in Form spektakulärer, kurioser, kunstgeschichtlich bedeutender und visuell beeindruckender Zeugnisse bieten.
Die in einen Schleier des Geheimnisvollen gehüllte Vergangenheit bietet den ruhmreichen Hintergrund für eine Interpretation der Gegenwart im Kontext der Mnemosyne. Für die Betrachter der olbrichtschen Sammlung in der Ausstellung „Lebenslust und Totentanz“ bedeutet dies ein abenteuerliches Erforschen einer nicht nur historischen, sondern auch zeitgenössischen Kunst- und Wunderkammer, das sowohl ein lustvolles Spiel mit Déjà-vu- Erlebnissen als auch eine Herausforderung an das persönliche Gedächtnisarchiv darstellt, und nicht zuletzt eine beeindruckende Begegnung mit einer der größten Schöpfungen der menschlichen Fantasie – den Kunstwerken als nicht wegzudenkenden Bestandteilen unseres kulturellen Erbes.
Kuratoren Wolfgang Schoppmann Hans-Peter Wipplinger Katalog Lebenslust & Totentanz. Olbricht Collection. erscheint im Walther König Verlag mit Beiträgen von Burghart Schmidt, Rainer Metzger, Nicole Fritz, Karin Pernegger, Hans- Peter Wipplinger und einem Interview mit dem Sammler Thomas Olbricht. 192 Seiten, EUR 24,90 (ISBN: 978-3-901261-46-6)
Kontakt und Information Kunstmeile Krems Betriebs GmbH, Kunsthalle Krems, Franz-Zeller-Platz 3, A-3500 Krems-Stein Mag. Irina Kubadinow, T: ( 43-2732)90 80 10-170, irina.kubadinow@kunsthalle.at Mag. Verena Randolf, T: ( 43-2732)90 80 10-172, verena.randolf@kunsthalle.at
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