Ausstellungskonzepte
Gerwald Rockenschaub. multidial
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Ausstellung16.04.2011 - 04.09.2011
Ich entwickle Ausstellungskonzepte. Ich arbeite nicht unabhängig von irgendwelchen Projekten im stillen Kämmer- lein oder im Atelier, sondern ich arbeite immer an konkreten Projekten und dementsprechend konzipiere ich dann eben bestimmt Objekte, Installationen oder Folienbilder. Gerwald Rockenschaub, „...diskurs“, Interview von Ulrike Lehman mit Gerwald Rockenschaub, 2002
Hunderte farbige, etwa ein Quadratmeter große Zeichen überfluten die Schauseite einer rund 70 Me- ter langen und 11 Meter hohen Wand, die Gerwald Rockenschaub in der 40 x 40 m großen und 18 Meter hohen Halle des Kunstmuseum Wolfsburg platziert hat. Der 1952 in Linz geborene Künstler hat diese 385 „Sujets“, Zeichen aus farbigen Klebefolien, in den letzten Jahren entwickelt und präsentiert sie hier erstmals in ganzer Fülle. Diese und weitere Arbeiten, von denen die meisten speziell für diese Ausstellung entstanden sind, bieten erstmals Gelegenheit, das Werk Gerwald Rockenschaubs im norddeutschen Raum umfassend kennen zu lernen. Mit der Ausstellung Gerwald Rockenschaub. multidial setzt das Kunstmuseum Wolfsburg nach Olafur Eliasson (2004), Douglas Gordon (2007) und zuletzt James Turrell (2009) seine Reihe der groß- en Hallenprojekte fort.
Mitte der 1980er-Jahre wurde Gerwald Rockenschaub zu einem der Hauptexponenten der Neo-Geo- Bewegung, die – als Antwort auf die expressiven Gesten der „Jungen Wilden“ – sich an der modernen Abstraktion und an der Installationskunst orientierte. Rockenschaub fiel damals schon durch seine präzisen, „homöopathisch“ dosierten Eingriffe in den öffentlichen Raum und in architektonische Zu- sammenhänge auf. 1984 schockte er die Wiener mit einem schwarzen Plakat, auf dem in schlichter Computerschrift „AUGENSEX“ zu lesen war und das im gesamten Stadtraum verteilt wurde. Rocken- schaub avancierte in den „mageren“ 1990er Jahren zu einem „ästhetischen Gewissen“, zur soge- nannten „institutional critique“. 1993 „dekonstruierte“ er mit seinem Beitrag zur Venediger Biennale den legendären Pavillon des Jugendstilarchitekten Josef Hoffmann mit einer spektakulären Treppen- anlage und schuf damit neue Ausblicke, nicht nur auf das Gebäude und die Umgebung, sondern auch auf die wechselvolle Geschichte dieses Baus. Nach der Zeit der „institutional critique“ in den 1990er Jahren taucht vor der Jahrhundertwende die bunte Signetsprache wieder auf. Sie entfaltet sich aber nicht als handgemachte Malerei, sondern – entsprechend den neuen Möglichkeiten der digitalen Technologie – mit gelaserten Folien, die auf verschiedene Träger aufgebracht werden, auf Plexiglas- platten oder wie in Wolfsburg direkt auf die Wand. 1999 übersiedelte der Österreicher Rockenschaub in die Künstlermetropole Berlin. Dort überraschte er 2008 mit einer schlichten, aber wirkungsvollen Außengestaltung der Temporären Kunsthalle auf dem Schlossplatz, die aus einer Matrix von weißen und blauen Pixeln bestand und einen fröhlichen Wolkenhimmel auf den Kubus des Gebäudes zauberte. Nicht zuletzt ist er auch mit seinen farbigen Installationen auf der letzten documenta von 2007 in Kassel in Erinnerung, die er an verschiedenen Orten der Großausstellung als Skulpturen platzierte, die auch als Möbel benutzbar waren und damit die latente Verschränkung seiner Konzeption mit Bereichen des Angewandten exemplifizierten.
Im Mittelpunkt der Wolfsburger Ausstellung steht die riesige Wand, die von Rockenschaub in der großen Halle so positioniert wurde, dass sie von überall auf einen Blick übersehbar ist. Das überdimensionale Display mit den von Rockenschaub gesetzten Zeichen, die frei von jeder Codierung sind, steht als Farb-Form-Gebilde für sich. Seine Sujets bedienen sich geschickt der Allgegenwärtigkeit von (Werbe-) Signets oder auch Graffiti-Tags, in die sie gleichsam eingeschmuggelt werden und die sie unter Sinnverdacht stellen. Die quaderförmigen Objekte, die auf dem Boden der Halle und auf der Empore arrangiert sind, verweisen ebenfalls auf sich selbst, laden aber auch dazu ein, auf ihnen Platz zu nehmen. In den angrenzenden Kabinetten erwarten den Besucher subtile Eingriffe in die Architektur und Objekte, die sowohl als Kunstwerke wahrgenommen werden können wie auch zum Gebrauch einladen. So zum Beispiel eine Bank, welche die Proportionen der Bank aus Mies van der Rohes Barcelona-Pavillon aufnimmt, die eines der Kabinette abriegelt, aber auch zum Verweilen und Übersteigen einlädt.
Ob es sich nun um Objekte, Installationen oder Folienbilder handelt, alle Elemente bilden untereinander verschränkte Bestandteile eines Bezugssystems, das Kunstgeschichte und Werbung, Popkultur, Design und Architektur miteinander kurzschließt. Dies wird besonders in der raumgreifenden Arbeit inmitten der Halle deutlich, auf die sich der Titel der Ausstellung bezieht. Mit ihren zahllos erscheinenden Farbmodulen verwickelt sie den Betrachter in einen sublimen „Augensex“, der viel aussagt über unsere von Werbung und visuellen Reizen überflutete Alltagswelt, und der scheinbar alle Möglichkeiten offen lässt: multidial erweist sich daher auch als eine Art Denkmal für die heutige „Multioptionsgesellschaft“ (Peter Gross).