100 Jahre lenkbares Licht. Ursprung und Aktualität beweglicher Beleuchtung
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Ausstellung31.01.2020 - 01.06.2020
Mit der ersten lenkbaren elektrischen Leuchte setzte Curt Fischer (1890–1956), Gründer des Leuchtenherstellers Midgard, 1919 einen Meilenstein für die sich damals rasant entwickelnde Industrialisierung. Seine bahnbrechende Erfindung: Die Lichtquelle der „Midgard“ kann man zu sich heranziehen, ihren Kopf drehen und den Lichtkegel im gewünschten Winkel mit nur einer Hand einstellen. Damit setzte der Ingenieur der damals üblichen, starren Allgemeinbeleuchtung als einziger künstlicher Lichtquelle ein Ende. Bis dahin warfen die Arbeiter*innen an ihren Werkbänken selbst Schatten auf ihre Arbeitsflächen. Das Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg (MKG) blickt mit 100 Jahre lenkbares Licht. Ursprung und Aktualität beweglicher Beleuchtung auf die erfinderischen und ästhetischen Dimensionen von lenkbaren Leuchten vom frühen 20. Jahrhundert bis heute. 44 Originale von Midgard und 20 weiteren Herstellern sowie zahlreiche Zeichnungen, Patente, Briefe und kurze Filme erzählen von der Evolution der Leuchten, von parallelen und jüngsten Entwicklungen. Aktuelle Leuchten-Modelle laden die Besucher*innen ein, das Prinzip des lenkbaren Lichts selber auszuprobieren.
Die „Midgard“ stand am Beginn der Verbreitung eines Typus, für den Unternehmen wie AEG, Körting & Mathiesen (Kandem), Gebr. Kaiser (Kaiser idell), SIS Schweinfurt und Siemens eigene Lösungen entwickelten. Später schufen Firmen wie Artemide, Belux, Erco und Nimbus Modelle, die Konstruktion und Design auf neue Weise integrierten. Zuvor, in den späten 1920er und frühen 1930er Jahren, entdeckte die gestalterische Avantgarde am Bauhaus das blendfreie, frei bewegliche Licht bereits für sich. Midgard-Modelle beleuchteten Ateliers und Wohnbereiche in Dessau, bevor dort eigene Entwürfe entstanden. Zu DDR-Zeiten produzierte die Firma aus dem thüringischen Auma ihre Federzugleuchte sogar für Ikea. In der Designgeschichtsschreibung war die „Midgard“ nur Expert*innen bekannt. Obwohl in zahlreichen Interieurs der Moderne eingesetzt war sie nach dem Mauerbau als DDR-Produkt im Westen nicht mehr als Marke präsent. Aufgrund ihrer Flexibilität und ihres Industriecharmes ist ihre Faszination noch immer ungebrochen. Heute überzeugt sie wieder am Arbeitsplatz, im Büro, im Coworking-Space, in der Hotel-Lobby oder im Wohnbereich, am multifunktionalen Küchentisch und am Sofa mit Laptop-Ablage.
1919 war das Jahr des Umbruchs und der sozialen und politischen Erneuerung. Elektrizität und elektrische Beleuchtung drangen in die Fabriken und Wohnungen vor, im nahen Weimar wurde das Bauhaus gegründet. Curt Fischer ließ in diesem Jahr seine berühmte Scherenleuchte, auch „Lichtbogen“ oder „verstellbarer Wandarm“ genannt, patentieren. Aus der Notwendigkeit, Arbeitsplätze in der eigenen Fabrik angemessen zu beleuchten, entwickelte er „Spezialbeleuchtungsgeräte“, Leuchten mit großer Beweglichkeit und vielseitiger Verwendung. Die Ausstellung zeigt zahlreiche frühe Entwürfe Fischers, darunter auch seine bekanntesten wie das Modell Nr. 113, das auf Grund seines gebogenen Stabs auch als „Peitsche” bezeichnet wurde, sowie das Modell Nr. 114, das besonders weit verbreitet war.
Gestalter*innen und Künstler*innen am Bauhaus wie Marianne Brandt, Marcel Breuer, Lyonel Feininger, Walter Gropius und Laszlo Moholy-Nagy waren begeistert von Fischers „Spezialbeleuchtungsgeräten“. Aber auch Architekt*innen wie Egon Eiermann, Gustav Hassenpflug, Cäsar Pinnau und Sep Ruf diente die „Midgard“ als Arbeitsgerät, mitunter auch als Einrichtungsgegenstand. Der Typograf Jan Tschichold besaß eine besondere Version, die eigentlich für Zahnärzt*innen konzipiert war. Dank eines erhaltenen Briefwechsels zwischen Walter Gropius und Curt Fischer konnten Midgard-Leuchten inzwischen auf zahlreichen historischen Fotografien identifiziert werden. In modernen Interieurs hatte die „Midgard“ als modernes Lichtgerät einen festen Platz: So waren das Planungsbüro am Bauhaus wie auch der dort entworfene Lesesaal der Bundesschule des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) mit dem Modell Nr. 113 ausgestattet. Ludwig Mies van der Rohe nutzte sie in seinem Büro, Marcel Breuer stattete etliche Wohnungen mit der Lenkleuchte aus. Beruhend auf früheren Entwürfen entwickelte Fischer um 1930 ein modulares Leuchtensystem, dessen wartungsfreie Gelenke er ebenfalls patentieren ließ.
Nachdem der Brite George Carwardine 1933 mit Terry & Sons, einem Produzenten von Federn für Auto-Stoßdämpfer, mit „Angelpoise“ die erste Arbeitsleuchte mit Zugfedern auf den Markt brachte, etablierte sich bald ein neuer, kostengünstiger Leuchtentypus. Dies inspirierte Curt Fischer in den frühen 1950er Jahren zu einer eigenen Federzugleuchte, die bald darauf ein wichtiger DDR-Exportartikel wurde. Sein Sohn Wolfgang übernahm nach dessen Tod 1956 die Firma. 1992 berichtete er in einem Interview, die Federzugleuchte sei das Überbleibsel von einst rund 120 Midgard-Modellen. Zudem habe man sie weit unter den Kosten in westeuropäische Länder verkauft, Hauptabnehmer war Ikea. Parallel entwickelten ost- und westdeutsche Hersteller die lenkbare Leuchte weiter. Technische Neuerungen wie das Halogen-Licht, bei Autoscheinwerfern erprobt, ermöglichten ab den 1970er Jahren, die Stromzufuhr und -verteilung in der Leuchte neu zu organisieren. Einen Umbruch im Design markierte Richard Sapper 1972 mit der Niedervolt-Leuchte „Tizio“. 1986 entwarfen Michele De Lucchi und Giancarlo Fassina für die Firma Artemide die „Tolomeo“, deren Federn unsichtbar im Inneren der Konstruktion befestigt sind.
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31.01.2020 - 01.06.2020
Öffnungszeiten: Di-So 10-18 Uhr, Do 10-21 Uhr | Eintritt: 12 € / 8 €, Do ab 17 Uhr 8 €, bis 17 J. frei