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»Sauer Power« des Künstlerkollektivs Slavs and Tatars.

Mit Slavs and Tatars stellt der Kunstverein Hannover ein Künstlerkollektiv vor, das die Individual- Autorenschaft zugunsten inhaltlicher Zusammenhänge untergräbt. Es geht den Künstler*innen um das Denken in Sprache und die hiermit einhergehende Frage nach Identitätsbildung sowie um kulturelle Kodierungen. Im Zentrum ihres Interesses steht das geografische Gebiet »Eurasien«, das eine Vielzahl unterschiedlicher Ethnien, Sprachen und Kulturen umfasst und das Slavs and Tatars eher unorthodox als Areal »östlich der Berliner Mauer und westlich der Chinesischen Mau- er gelegen« definieren.

Vergessene Momente der slawischen, kaukasischen und zentralasiatischen Kulturgeschichte stel- len den Rohstoff für die Arbeiten dar. Aus intensiven wissenschaftlichen Recherchen, Forschungs- reisen, aber auch der Analyse von mündlich überliefertem Wissen und Spiritualität destilliert das Künstlerkollektiv Werke, die in verschiedenen Formen ihren Ausdruck finden: in Künstlerbüchern, performativen Vortragssituationen und in szenografisch angelegten Installationen.

Für die Räume des Kunstvereins wurde ein Parcours entwickelt, der die Besucher*innen sowohl zum realen und gedanklichen Flanieren als auch zum Lesen einlädt. Das Medium des Buches ist zentral in der Praxis des Kollektivs, das sich 2006 aus einem Lesezirkel formierte. So finden sich in der Ausstellung eine Reihe von Buchständern- bzw. -halterungen, die an einer Reihe von Skulpturen aus Stahlstangen befestigt sind. Die Besucher*innen können auf diesen wie an einer Bar ohne Tresen Platz nehmen und sich der Lektüre widmen. Bücher und Texte bevölkern die Ausstellung, da es Slavs and Tatars schließlich um das gemeinsame, das öffentliche Lesen geht, das sie reaktivieren möchten – eine Tradition in Form der gemeinschaftlichen Wissensaneignung und Debatte, die längst nicht mehr üblich ist.

Wörtern in verschiedenen Sprachen (in kyrillischen, arabischen oder lateinischen Schriftzeichen) begegnen die Besucher*innen innerhalb der gesamten Ausstellung. Aber auch das gesprochene Wort erhält angedeutete Sichtbarkeit: so tauchen neben teilweise lautmalerischen Texttafeln ebenfalls Mikrofone als Kollektoren von Gesprochenem oder Gesungenem auf, die wiederum In- formationen aufnehmen und übertragen. Gleich zu Beginn der Ausstellung befindet sich das Werk »Gut of Gab (Ha'mann)« (2018), das aus Mikrofonständer, Mikrofon und einem wie aus der Praxis des Bauchredens inspirierten Glasmund besteht. Diese und weitere Arbeiten verweisen nicht zufällig auf den Philosophen und Schriftsteller Johann Georg Hamann, der als radikaler Aufklärer für die Verbindung von Ratio und Emotionalität steht. Hamann veröffentlichte Zeit seines Lebens (1730 in Königsberg bis 1788 in Münster) nur kurze Schriften, die extrem dicht und mit unzähligen Fußnoten gespickt waren, welche wiederum zwischen den verschiedenen Sprachen und Alphabe- ten changierten – was der Praxis von Slavs and Tatars durchaus entspricht. Die Arbeitsweise des Künstlerkollektivs erstreckt sich über inhaltliche Werkserien, die wie einzelne Kapitel eines größeren, übergeordneten Buches zu verstehen sind. Das Organisationsprinzip be- steht darin, einzelnen Werken und Büchern bestimmte Themenkreise zuzuordnen, die wiederum in andere hineinwirken. Diese Zyklen reichen vom »Marsch der Alphabete« und von »Alphabet Politiken« (Language Arts) über mittelalterliche Unterweisungsliteratur (»Mirrors for Princes«) bis hin zu einer Untersuchung des Synkretismus. Die Kombination oder Verschmelzung bestimmter Glaubensansätze, Religionen, Bilder, Sprachen oder Politiken (»Not Moscow Not Mecca«) zieht sich wie ein roter Faden fast durch das gesamte Werk. Für die Ausstellung »Sauer Power« sind neue Werke im Kontext des aktuellen Werkzyklus’ »Pickle Politics« entstanden. Diese Werkreihe setzt sich mit Fragen des Fermentierens, einem gegenwärtigen (Detox-)Trend der westlichen Kultur, auseinander, der gleichzeitig eine bis 2000 Jahre v. Chr. zurückreichende Behandlung von Speisen und Getränken ist, um diese zu konser- vieren bzw. genießbarer zu machen. Das Fermentieren (von gesalzenem Kefir, Kohl oder Gurke) kommt ursprünglich aus zentralasiatischen Kulturen, aus dem Bereich der Turksprachen-Gebiete und mongolischen Steppen – somit eben genau von jenen Völkerstämmen, die als Gegenpol der westlichen Zivilisation gesehen wurden. Die Aktivierung der Enzyme, welche diesem Verfahren inhärent ist, ist als eine Substanzmanipulation zu sehen, aber auch die Historie steht hier stellver- tretend für den kritisch subversiven Gebrauch kulturhistorischer und aktueller Mechanismen, die Slavs and Tatars eklektisch miteinander verweben und wie immer auch sinnlich-ästhetisch buch- stäblich auf’s Tablett bringen, indem den Besucher*innen Ayran angeboten wird – umgeben von einer Posterwand, auf der die ironische Verbindung von Stief- bzw. Steppenmutterbild evoziert wird.

Nicht zuletzt bestechen die linguistisch und kulturhistorisch geprägten Werke von Slavs and Ta- tars immer auch durch Humor, Sprachwitz und durch installativ sehr sinnlich einladende Raumge- staltungen, die die Besucher*innen eintauchen lassen in gleich mehrere Welten und Zeiten – vom Gestern zum Heute und wieder zurück in unbekannte Steppen und Wüsten.






  • 17.11.2018 - 27.01.2019
    Ausstellung »
    Kunstverein Hannover »

    Dienstag–Samstag
    12.00–19.00 Uhr
    Sonn– und Feiertag
    11.00–19.00 Uhr

    Eintritt
    6 € / ermäßigt 4 € / Mitglieder frei
    Freitags freier Eintritt



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  • Slavs and Tatars »Figa«, 2016 Siebdruck auf Edelstahl 198 × 76 cm Courtesy the artist; Kraupa-Tuskany Zeidler, Berlin
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    Kunstverein Hannover