Meisterwerk
VERMISST. Der Turm der blauen Pferde von Franz Marc
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Ausstellung09.03.2017 - 05.06.2017
Kaum ein zweites Meisterwerk der Klassischen Moderne hat eine vergleichbar wechselvolle Geschichte wie das Gemälde Der Turm der blauen Pferde (1913) von Franz Marc. Durch seine abwechselnde Präsenz in München und Berlin verbindet es die beiden Kunstmetropolen, wird beinahe zerstört, gerettet und wieder bewahrt, bevor es nach dem Zweiten Weltkrieg spurlos verschwindet. Bis heute fragen sich Kunsthistoriker und Historiker: Wo ist Der Turm der blauen Pferde?
Eine spekulative Frage, der sich eine Gruppe von zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern in Berlin und München stellt und die Ergebnisse in zwei parallelen Ausstellungen präsentiert.
Im Frühling 1913 malte Franz Marc das Bild auf dem Land in der Nähe von München, um es im gleichen Jahr in Berlin vorzustellen. Nach dem Tod von Franz Marc im Ersten Weltkrieg wird es 1919 auf der Gedächtnis- ausstellung in der Münchner Neuen Sezession zentral präsentiert und noch im gleichen Jahr von Ludwig Justi zu einem ungewöhnlich hohen Preis für die „Neue Abteilung“ der Berliner Nationalgalerie erworben.
Als „entartet“ 1937 gebrandmarkt und aus dem öffentlichen Museums- besitz entfernt, ist es noch im selben Sommer für wenige Tage auf der ersten Station der Ausstellung „Entartete Kunst“ in den Münchner Hofgartenarkaden zur Schau gestellt. Aufgrund der engagierten Kritik einzelner Bürger wird es lautlos entfernt, kommt später in ein Sammel- lager zur Verwertung „entarteter“ Kunst nach Berlin zurück, wo es von Hermann Göring einbehalten wird und letztlich in seinen unrechtmäßigen Besitz übergeht. Kurz nach Kriegsende soll Der Turm der blauen Pferde 1945 beziehungsweise 1948/49 angeblich noch einmal in Berlin gesehen worden sein. Unabhängig voneinander haben drei wichtige Zeugen das Bild am Leipziger Platz, im späteren Haus am Waldsee und zuletzt vis-a- vis im Haus der Jugend in Berlin Zehlendorf gesehen. Danach verlieren sich die Spuren.
Das Haus am Waldsee in Berlin und die Staatliche Graphische Sammlung München haben zwanzig zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler von internationalem Rang eingeladen, die Geschichte des Gemäldes mit den Mitteln der Malerei, der Zeichnung, der Bildhauerei, der Fotografie, Installation und Literatur in einer Doppelausstellung aus heutiger Sicht zu reflektieren.
Die Postkarte
Den Ausgangspunkt für die künstlerische Recherche in München bildet die zum Gemälde zeitlich früher entstandene postkartengroße Zeichnung, die Franz Marc mit Der Turm der blauen Pferde betitelte und zum Jahreswechsel 1912/13 an die eng befreundete, jüdische Dichterin Else Lasker-Schüler schickte. In dieser „Vorzeichnung“ legte der Künstler haargenau die Komposition und den Farbklang für das spätere Bild fest.
Die Postkarte erscheint wie ein Phantombild, das die vergangene und zugleich noch mögliche Existenz des Gemäldes beglaubigt. Nicht zuletzt begründet der Verlust, der einhergeht mit dem Reiz des Unsichtbaren, seine anhaltende Popularität. Unübersehbar hat die leuchtend blaue Gouache in der Heimatstadt des Blauen Reiters den Status einer Reliquie: Als Projektionsfläche bedient sie verklärte Sehnsüchte und erweckt einmal mehr den Wunsch, das Original wiederzusehen. Ein Zustand, der Künstler heute nur dazu motivieren, ja anfeuern kann, die Mechanismen dieser Sehnsuchtsmaschinerien auszuhebeln. Der Mythos Wo also ist Der Turm der blauen Pferde von Franz Marc heute? Eine spekulative Frage, der sich eine Gruppe von Künstlerinnen und Künstlern gestellt hat. Die „Rechercheergebnisse“, die für den Münchner Teil des Ausstellungsprojektes entstanden sind, untersuchen ausgehend von der erhaltenen „Vorzeichnung“ den Mythos des verschollenen Bildes, ergründen seine bis heute anhaltende ästhetische Faszination, verfolgen offene Fragen und mehr oder weniger gewagte Spekulationen, die sich um den Werdegang des Bildes ranken. Sie laden den Betrachter dazu ein, die Diskussion weiterzuführen.
Die Auseinandersetzung der Künstler in München
Dass die künstlerischen Recherchen mehr Fragen als Antworten bereithalten, darf man als ein Ergebnis des aktuellen Diskurses verstehen.
Von daher wundert es kaum, dass Der Turm der blauen Pferde in Slawomir Elsners großformatiger Zeichnung schemenhaft bleibt und in seiner Unantastbarkeit ein motivisches Eigenleben entwickelt. Mit der gleichen Fragestellung untersucht Jana Gunstheimer in ihrer Installation, was bleibt, wenn ein Bild über die Zeit hinweg verschlissen wird, die Erinnerung verblasst und eine zweite, verwandelte Existenz an seine Stelle tritt. Die Idee der emotionalen Vergänglichkeit beschäftigt Almut Hilf. Sie entwirft für das Projekt eine Raumcollage, in der die Ansichten der historischen Ausstellungsorte – Münchner Sezession (1916), Berliner Kronprinzenpalais (1920) und Münchner Hofgartenarkaden (1937) – einfließen. Das Gemälde aber, das den Genius loci des jeweiligen Ortes mitbestimmte, bleibt ausgespart, so dass die Imaginationskraft des Betrachters herausgefordert wird, auch auf die Gefahr hin, zu scheitern.
Der Turm der blauen Pferde wird – wie viele berühmte Gemälde – als Motiv in der Konsumgüterindustrie eingesetzt und führt im weltweiten Netz in zahllosen Abbildungen ein unkontrollierbares Eigenleben. Viktoria Binschtok untersucht in ihren Re-Inszenierungen von Merchandising Produkten dieses Phänomen. Sie hinterfragt in ihrer Serie, inwieweit niedrig aufgelöste digitale Bildinformationen durch die permanente Reproduktion der Reproduktion leerlaufen und die auf Schlüsselreize getrimmten modernen Sehgewohnheiten diese Botschaften kaum noch wahrnehmen: geradezu ein Bekenntnis zum aktuellen Status des Bildes.
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