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Gauri Gill. Traces

Das Museum Tinguely zeigt im Sommer 2018 eine Einzelausstellung der indischen Künstlerin/ Fotografin Gauri Gill (geb. 1970 in Chandigarh, lebt in New Delhi). Zu sehen sind zwei Werkgruppen Traces & Birth Series, aus ihrem umfassenden Fotoarchiv Notes from the Desert. Traces stellt eine Auswahl grossformatiger Fotografien von Grabstätten vor, die Gill in der Wüste West- Rajasthans aufgenommen hat. Es sind elementare Orte der Erinnerung für die Angehörigen und die Gemeinschaft. Die Bilder berühren durch ihre Einfachheit und ihre Tendenz, sich in der Landschaft aufzulösen. Die zweite, begleitende Fotoreihe Birth Series porträtiert in einer Folge von acht Fotografien die Entbindung der Enkeltochter der Hebamme Kasumbi Dai, zu der Dai Gill eingeladen hatte, anwesend zu sein und das Ereignis festzuhalten. Die beiden Fotoserien sind komplementär, indem sie Aspekte von Werden und Vergehen in einem anderen Kulturkreis vorstellen. Die dualen Serien bilden ihrerseits einen Kontrast zur opulenten Bildtradition des Totentanzes, der ihnen mit Jean Tinguelys Mengele-Totentanz (1986) gegenübergestellt ist. Die Ausstellung ist vom 13. Juni – 1. November in Basel zu sehen.

Seit 1999 verbringt Gill viel Zeit bei marginalisierten ländlichen Bevölkerungs- gruppen in der Wüste West-Rajasthans und besucht befreundete nomadische Jogis, muslimische Migranten oder Bishnoi-Kleinbauern. Ihr Fotoarchiv Notes from the Desert umfasst mittlerweile über 40.000 Bilder. Es ist ein offen angelegtes Archiv, das sowohl aus kollaborativen Projekten mit der lokalen Bevölkerung (Balika Mela) besteht, als auch Bildreportagen über deren Leben (Traces, Birth Series) beinhaltet, dabei liegt der Fokus auf der lokalen künstlerischen Interpretation und der traditionellen Bildproduktion (The Mark on the Wall).

Traces ist eine der Fotoserien, die aus diesem umfassenden Fotoarchiv hervor- gegangen ist. Die porträtierten Grabstätten zeichnen sich durch starke Kontraste von gleissendem Sonnenlicht und Schlagschatten aus, die das Relief des Bodens und die Textur der natürlichen Elemente Sand, Stein, Porzellan oder Stoff betonen. Sie erzeugen eine eindringliche Präsenz des Ortes und transportieren etwas vom imaginierten «grossen Atem», der Reinheit und der Stille der Wüstenlandschaft, die wiederum ein Gefühl von schwebender Leichtigkeit auszeichnet. Gill hat sie zusammen mit Angehörigen oder Freunden der Verstorbenen besucht.

Viele sind sehr persönlich, oft sehr diskret und ohne Hinweis für Aussenstehende kaum erkennbar. Aus Steinen, Tonscherben, handgravierten Grabsteinen oder persön- lichen Gegenständen wird in grösster Bescheidenheit ein Ort mit Vorgefundenem gekennzeichnet, den Toten gehuldigt und Erinnerung gepflegt. Gebrauchsobjekte sind einer verstorbenen Person zuerkannt, erzählen vielleicht über deren persön- liche Verwendung und bieten sich doch auch einer weiteren Nutzung an, die sie erneut ins Leben einschreibt. Es sind Gräber sowohl von Nomaden und Sesshaften, auch von unterschiedlichen Religionsangehörigen, sowohl Hindus wie Muslimen, vereint in der Einfachheit der sehr beschränkten ökonomischen Ressourcen.

Die Birth Series, acht Fotografien in kleinerem Format, zeigen mit derselben Empathie und Sachlichkeit das Werden als Gegenpol zum Vergehen. Gills Freundschaft mit der im entlegenen Dorf Ghafan in Motasar tätigen Hebamme und Feministin Kasumbi Dai ermöglichte ihr, der Entbindung von deren Enkeltochter sowohl fotografierend als auch assistierend beizuwohnen. Der erste Kontakt des kleinen Mädchens mit der Welt ist die sandige Erde der Behausung. Bei aller «Natürlichkeit» und Einfachheit wohnt dem Ereignis der Geburt eine feierliche, fast meditative Komponente inne, wie sie sich im faltenüberzogenen, lebenserfüllten Gesicht Dais ausdrückt.

Im Sommer 2017 konnte Jean Tinguelys Mengele-Totentanz (1986) in einem neu im Museum eingebauten, kapellenartigen Raum installiert werden. Um die Vielschichtigkeit dieses zentralen Spätwerkes hervorzuheben, zeigt das Museum eine Reihe von Ausstellungen, die sich mit besonderen Aspekten des Mengele- Totentanzes verbinden. Jérôme Zonders Dancing Room machte letztes Jahr den Auftakt. Mit einer Fülle von Zeichnungen, die das Unsagbare menschlicher Abgründe und humanitärer Katastrophen der letzten 100 Jahre verarbeiteten, schloss er an Tinguelys eminent politische Totalitarismus-Kritik an. Tinguelys Auseinandersetzung mit dem Katholizismus und dem Glauben im Allgemeinen, sein «ludischer Makabrismus», durch den er dem Tod immer auch mit dem Leben entgegnen will, bildet einen Referenzpunkt für die Ausstellung der Fotografien Gauri Gills, die dem Umgang mit dem Tod, der Erinnerung und dem Zirkulären des Lebens in der zehrenden Wüste West-Rajasthans nachgehen. In ihrer Bescheiden- heit und baren Direktheit bilden sie einen Gegensatz zum bei Tinguely barock- überbordenden Charakter des traditionsreichen Totentanz-Motivs, das Moralität, gesellschaftliche Satire und blankes Entsetzen (S. Osterwijk) kombiniert. Als ‚Memento Mori’ schreiben sich beide in natürliche Kreisläufe ein, die unsere Existenz in einem grösseren Ganzen relativieren und uns vielleicht mehr Gelassenheit lehren können.

Weitere Ausstellungen zu Themen wie der persönlich-archäologischen Einschreibung von Zeit in Objekte des Gebrauchs, dem surreal-fantastischen Animismus von Tinguelys Bildsprache und der Tradition des Totentanzes selbst, die sein Leben in Basel geprägt habe, sind in Planung.






  • 13.06.2018 - 01.11.2018
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    Museum Tinguely »

    Öffnungszeiten: Dienstag – Sonntag: 11 – 18 Uhr

     



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