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Klimakapseln.

Klimakapseln. Überlebensbedingungen in der Katastrophe

Klimakapseln.

Wohnkapseln: Die Exponate dieser Gruppe weiten den abgekapselten Raum von der Körperhülle zum unmittelbaren Wohnraum aus. Utopische Entwürfe mobiler Kapseln aus den 1960er Jahren wie die „Walking City“ von Ron Herron (Archigram) waren noch Teil eines Diskurses, der in Nachfolge von Architekten wie Constant oder Yona Friedman temporäre und mobile Bauten als experimentelle Freiheitsräume hervorhob. Heute ist Mobilität nicht mehr nur mit Freiheit verbunden – das Gegenüber zur freiwilligen Mobilität ist die Flucht, die räumliche Entsprechung das vorübergehende Lager. So stößt der Besucher etwa auf ein „paraSITE“ von Michael Rakowitz, ein aufblasbares Zelt, das der Künstler zusammen mit dem Obdachlosen Bill Stone entwickelt hat. Wie die anderen Zelte der Serie ist es zur Anbringung an einen Abluftschacht gedacht. Als temporärer Parasit dockt es sich an Gebäude an. In diesem Kontext prekärer Lebensweisen – nicht zuletzt hervorgerufen durch die im Klimawandel verstärkte globale Ungleichheit und die sich daraus ergebenden Flüchtlingsströme – erscheinen die einst visionären temporären Wohnkonzepte in neuem Licht. Sie sind keine Befreiungs-, sondern Eingrenzungsräume.

Urbane Kapseln: Städte sind die größten Energieverbraucher und die Verstädterung nimmt weltweit weiter zu. Zero Waste, Zero Emission, Zero Energy ist das aktuelle Credo. Schon in den 1950er Jahren haben Richard Buckminster Fuller und Shoji Sadao mit dem „Dome over Manhattan“ die Utopie einer klimaautarken Umstrukturierung von Stadt skizziert: Eine riesige Kuppel sollte einen Großteil der Insel überspannen. Heute werden diese Abkapselungen vom Außen bei gleichzeitiger Gestaltung interner Klimawelten tatsächlich realisiert, sei es im Maßstab großer Gebäudekomplexe oder energieautarker Städte wie „Masdar“ von Norman Foster. Andere Konzepte zeigen, dass das System Stadt vor dem Hintergrund drohender Klimakata- strophen zunehmend als autarke, nach außen abgeschlossene Einheit mit der Notwendigkeit einer selbstbe- zogenen Bewirtschaftung ihrer ökologischen Ressourcen verstanden wird. Auf die Spitze getrieben wird diese aktuelle Debatte in der von Vincent Callebaut konzipierten schwimmenden Stadt „Lilypad“, die ein Refugium für Klimaflüchtlinge sein soll.

Naturkapseln: So wie die Stadt gegenüber der klimatologisch sich verändernden Umwelt geschützt wird, soll auch die Natur in eine Sphäre der gesicherten Künstlichkeit gehoben und in Naturkapseln konserviert werden. Ökosysteme werden auf der Mikro-Ebene von Menschenhand nachgebildet und nach außen hin abgeschottet. Was zunächst als Schutzmechanismus daher kommt, entzieht die versammelte Flora und Fauna gleichzeitig dem Anschluss an das Ökosystem „Erde“ auf der Makro-Ebene. Daran schließt die Frage an: Handelt es sich bei dem Beschützten überhaupt um Natur? Oder um ein täuschend echtes menschliches Artefakt? Unmittelbar anschaulich wird dies in der Fotoserie „Museum of Nature“ von Ilkka Halso, der in seinen digitalen Montagen Wälder, Seen und Flüsse in imaginäre Museumsbauten einfügt.

Atmosphärische Kapseln: Der maximale Maßstab adaptativer Gestaltungsstrategien wird im Geo- Engineering erreicht. Mit chemischen oder physikalischen Eingriffen wird versucht, klimatologische, geo- und biochemische Kreisläufe auf globaler Ebene aktiv zu steuern und so das Klima zu moderieren. Historische Paten für diese Entwicklung sind der parawissenschaftliche „Cloudbuster“ des Psychoanalytikers Wilhelm Reich und das „Project Cirrus“ der US Army, die auf unterschiedliche Weise das Wetter technisch zu beeinflussen versuchten. Heute arbeiten verschiedene renommierte Wissenschaftler und Forschungseinrich- tungen an großmaßstäblichen Eingriffen zur Abschirmung des Weltklimas vor negativen Einflüssen. Utopischen Vorschlägen stehen machbare Projekte gegenüber, wie Versuche, die Erderwärmung durch den Einsatz von reflektierender weißer Farbe auf Dächern und Straßen zu mindern. Die Folgen derartig weit reichender Eingriffe sind derzeit nicht abschätzbar, ihre Realisierung in weiter Ferne. Dass sie überhaupt ernsthaft diskutiert werden, beweist jedoch, wie nah die klimatologische Entwicklung bereits jenem Punkt ist, an dem emissionsreduzierende Strategien ausgedient haben.

Teilnehmende Künstler, Designer und Architekten: Anderson Anderson Architecture (US), Ant Farm (US), Richard Buckminster Fuller (US), Vincent Callebaut (B), Juan Downey (US), David Greene (GB), Tue Greenfort (DK), Ilkka Halso (FI), Haus-Rucker-Co (AT), Ron Herron (GB), Kouji Hikawa (JP), Christoph Keller (D), Lawrence Malstaf (B), Gustav Metzger (D), N55 (DK), Lucy Orta (GB), Michael Rakowitz (US), Pablo Reinoso (ARG/F), Shoji Sadao (US), Tomás Saraceno (Planet Erde), Werner Sobek (D), Jan-Peter E.R. Sonntag (D), Matti Suuronen (FI), Ingo Vetter (D).

Symposium: Im Rahmen der Ausstellung findet am 28. und 29. Mai ein Symposium in Kooperation mit der Hochschule für bildende Künste Hamburg, der Jungen Akademie an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina statt. Zwanzig Referenten aus Gegenwartskunst, internationaler Wissenschaft, Architektur, Design und Politik sind eingeladen, über die gesellschaftspolitischen Dimensionen adaptativer Strategien im Kontext des Klimawandels zu diskutieren. Teilnehmer: Heinz Bude (D), Vincent Callebaut (B), Tue Greenfort (DK), Ilkka Halso (FI), Christoph Keller (D), Chip Lord (Ant Farm, US), Michiko Nitta (JP), Lucy Orta (GB), Michael Rakowitz (US), Tomás Saraceno (Planet Erde), Ingo Vetter (D), Günter Zamp Kelp (Haus-Rucker-Co, AT) u. a.


Ausstellung






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    Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg