• Menü
    Stay
Schnellsuche

Honoré Daumier

Honoré Daumier in der Sammlung «Am Römerholz»

Honoré Daumier

Tatsächlich lassen sich die Zeichnungen und Gemälde weit besser als die Karikaturen mit Reinharts Wahrnehmung von Daumier eher als Formfinder denn als Erzähler und kritisch beobachtendem Zeitgenossen in Verbindung bringen. Der unmittelbare Vergleich in der Ausstellung zwischen den karikaturistischen Lithographien und den Zeichnungen Daumiers zeigt, dass der Künstler hier zwar zahlreiche Themen seines druckgraphischen Werkes übernimmt, wie etwa die Advokaten, die Kunstbetrachter und das Theater, diese Motive aber nicht als aktuelles Tagesgeschehen dramatisch inszeniert, sondern das jeweils Typische der einzelnen Stände, Berufe und gesellschaftlichen Lebensformen, deren Verhaltensweisen und Gebaren mit eindrucksvoller Ökonomie einfängt.
Die Theaterszenen weisen eine besondere Vorliebe für Molières Komödien auf, wobei der Blick in den Zuschauerraum den Künstler oft mindestens so sehr fasziniert hat wie das Geschehen auf der Bühne. Die Liebe für das Theater lässt sich auch bei anderen Sujets erkennen. So ist auf dem Blatt Die beiden Ärzte und der Tod aus der Sammlung «Am Römerholz», einer Illustration von Jean de La Fontaines Fabel Les Médecins, die Erzählung in ein dramatisches Bühnenstück umgesetzt.

Die Zeichnungen Daumiers im Römerholz decken die Etappen seines malerischen Werkes ab. Reinharts Bedürfnis nicht nur nach malerischen Qualitäten, sondern auch nach der ausgewogenen, vollendeten Form, die im allgemeinen seine Ankäufe charakterisiert, liess ihn jedoch den Aquarellen aus den sechziger Jahren den Vorzug geben. Diese sind bildmässig ausgeführt und waren für den Verkauf an Sammler bestimmt. Daumier wollte mit ihnen offenbar Kapital aus seinem Ruhm als Karikaturist schlagen und gleichzeitig seine malerische Meisterschaft unter Beweis stellen.

Auch die Gemälde, die Oskar Reinhart erworben hat, lassen die verschiedenen Phasen des malerischen Werkes nachvollziehen, wobei erneut die Arbeiten der sechziger Jahre dominieren, in denen sich Daumier auf die Malerei konzentriert hat. Sie entsprechen denselben ästhetischen Massstäben, die Reinhart bei der Wahl der Zeichnungen und Aquarelle geleitet haben.

In den Gemälden fehlen die karikierenden Elemente nahezu völlig, hier wandte sich der Maler einer sozialkritisch motivierten Darstellung des «einfachen Volkes» zu. Ein Hauptwerk unter den Gemälden Daumiers in der Römerholz-Sammlung sind Die Flüchtlinge. Insgesamt 29 Jahre lang strebte Reinhart danach, das Gemälde zu erwerben. 1949 schliesslich gelang es ihm, das begehrte Werk aus der Berliner Sammlung Otto Gerstenberg nach Winterthur zu holen. Datiert 1848, entstand es in den Jahren, in denen sich Daumier zunehmend der Malerei widmete. Das Sujet hat der Künstler in vier Gemälden, drei Zeichnungen und zwei Reliefs wiederholt aufgegriffen. Es zeigt einen nicht enden wollenden Strom von Menschen, der sich durch eine nicht identifizierbare hügelige Landschaft zieht. Auch die nackten oder nur mit Lumpen bekleideten einzelnen Figuren sind nicht näher differenziert. Das Gemälde scheint sich nicht auf ein konkretes historisches Ereignis zu beziehen, etwa die Juniinsurrektion, bei der der Aufstand der Ärmsten der Armen durch die Nationalgarde mit äusserster Gewalt niedergeschlagen wurde, nachdem man im Februar desselben Jahres den Bürgerkönig Louis-Philippe gestürzt und die Zweite Republik ausgerufen hatte und bereits im darauffolgenden April die Konservativen einen durchschlagenden Wahlsieg hatten feiern können. Der Künstler suchte vielmehr nach einer Metapher für das Schicksal von Flüchtlingen überhaupt, und so gelang ihm eine Darstellung von brisanter Aktualität.

Innerhalb seines malerischen Œuvres beschäftigte sich Daumier zunächst in den fünfziger Jahren und dann mit noch grösserer Intensität nach 1860 mit einem neuen Thema: Don Quijote und Sancho Panza. Gleich drei Werke der Daumier-Gruppe im Römerholz behandeln dieses Sujet, mit dem Daumier die Dualität der aus dem Irdischen und dem Geistigen sich zusammensetzenden Einheit des Menschen beleuchtet.

Das späteste Werk der Gemäldegruppe im Römerholz zeigt einen singenden Pierrot mit Mandoline (um 1873). Der skizzenhafte Duktus des Pinselstrichs geht auf Jean-Honoré Fragonard (1732-1806) zurück, wie die Gegenüberstellung des Gemäldes und dreier Zeichnungen dieses Künstlers aus der Sammlung «Am Römerholz» deutlich macht. Trotz des wirren und abstrakten Liniengefüges bewahrt der Singende Pierrot mit Mandoline jedoch im Vergleich zu ähnlich konzipierten, wilden Zeichnungen und Gemälden aus dem Spätwerk noch eine gewisse Plastizität, die dem Geschmack Reinharts nach einer klassizistisch befriedeten Form entspricht. Diese ästhetisierende Anschauung Daumiers verband sich bei Reinhart mit seinem untrüglichen Sinn für Qualität, der uns nicht nur ein in sich stimmiges und harmonisches, sondern auch ein hochkarätiges Daumier-Ensemble geschenkt hat, das bis heute seinesgleichen sucht.

Symposium in der Gemäldegalerie «Honoré Daumier
Wiederbegegnungen und neue Einsichten»

Öffnungszeiten

Dienstag bis Sonntag 10-17 Uhr, Mittwoch 10-20 Uhr

Geöffnet ist auch am Ostersonntag, Ostermontag, Auffahrt, 1. Mai, Himmelsfahrtstag, Pfingstsonntag, Pfingstmontag, 1. August, Eidgenössischen Bettag und 26. Dezember
Geschlossen ist montags sowie am 1. Januar, Karfreitag und 25. Dezember

Eintrittspreise

CHF 10,- / ermässigt CHF 7,-
Kombinierte Eintrittskarte für die Sammlung Oskar Reinhart «Am Römerholz» und das Museum Oskar Reinhart am Stadtgarten CHF 12,-/ermässigt CHF 8,-

Für Gruppen ab 10 Personen (maximal 25 Personen) gilt der ermässigte Eintrittspreis


Ausstellung






Neue Kunst Ausstellungen
Jahrhundertzeugin Irena
Irena Rabinowicz gehörte zu den ersten weiblichen Studenten...
GAO HANG - You See? You
This exhibition, interweaving Gao's reflections with the...
Pianissimo Forte Jess
In “Pianissimo Forte” präsentieren wir die...
Meistgelesen in Ausstellungen
ArtABILITY ‘23
(HUNTINGTON, NY)— The Spirit of Huntington Art Center...
UKIYOENOW. Tradition und
Ab 26. Oktober 2019 rocken Kiss, Iron Maiden und David Bowie...
Gemal­ter Mythos Kanada
Jetzt schon in die Ferne schweifen: Die Schirn präsentiert im...
  • Honoré Daumier in der Sammlung «Am Römerholz»
    Sammlung Oskar Reinhart «Am Römerholz»
  • Honoré Daumier in der Sammlung «Am Römerholz»
    Sammlung Oskar Reinhart «Am Römerholz»
  • Honoré Daumier in der Sammlung «Am Römerholz»
    Sammlung Oskar Reinhart «Am Römerholz»