Katja Aufleger. GONE
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Ausstellung02.12.2020 - 14.03.2021
Die in Berlin lebende, multimedial arbeitende Künstlerin Katja Aufleger (1983*, Oldenburg) sucht in ihren Werken nach der Gleichzeitigkeit von Möglichkeiten, um existenzielle Fragen zu stellen - skulptural wie filmisch, visuell wie auditiv. Die verführerische Ästhetik ihrer Arbeiten überrascht mit unerwarteten, gefährlichen oder tiefgründigen Wendungen. Solche Verknüpfungen entstehen zum Beispiel, wenn Aufleger eine gläserne Pendelkonstruktion in den Ausstellungsraum bringt, die die Betrachtenden zu dem Gedanken anregt, ebensolche in Bewegung setzen zu wollen. Neben der offensichtlichen Zerbrechlichkeit der Glaskolben befinden sich die Bestandteile von Nitroglycerin in der somit explosiven Installation im Museum. Mit solchen Ambivalenzen übt die Künstlerin Institutionskritik, hinterfragt Machtstrukturen und Systeme. In Auflegers Welt wird einem erst auf den zweiten Blick die Flüchtigkeit eines Moments und seiner Vielschichtigkeit bewusst.
Potenzielle Destruktion
In der grossen Halle des Museum Tinguely hängen an Stahlseilen drei gläserne Rundkolben von der Decke, gefüllt mit durchsichtiger Flüssigkeit. Es ist ein überdimensionales Kugelstosspendel mit dem Titel NEWTON’S CRADLE (2013/2020). Normalerweise steht es als Modell auf Schreibtischen und man kann fünf kleine Metallkugeln in Bewegung setzen und ihnen beim Pendeln zuschauen – als Demonstration kinetischer Energie. Würde man jedoch im Ausstellungsraum dazu verführt werden, dasselbe mit dem Glaspendel Auflegers zu tun, wäre die Zerstörungskraft gross, denn in den zerbrechlichen Behältnissen befinden sich die drei Bestandteile von Nitroglycerin.
In der Ausstellung begegnet uns nicht nur ein überdimensionales Newton Pendel aus zerbrechlichem Glas, das somit zum Stillstand verdammt ist, sondern auch andere gläserne Skulpturen, die bunt, organisch und wulstig an harmlose Murano-Glas Vasen erinnern, aber explosive Substanzen beinhalten [BANG! (2013–2016)] oder bunte Reinigungsmittel, die sich zu einem harmonischen Farbkreis verbinden, anstatt Verfärbungen zu entfernen [AND HE TIPPED GALLONS OF BLACK IN MY FAVORITE BLUE (2014)]. Und Videoarbeiten, die eine hohe skulpturale Qualität in ihrem zweidimensionalen Medium transportieren.
«The moment is GONE.»
Der Titel spricht an, was die Werke von Katja Aufleger erst in den Gedanken auslösen. Die Veränderung bis hin zur Zerstörung sind in ihrem Schaffen angelegt - wenn auch meist nicht dargestellt - denn sie zelebriert diesen spannungsgeladenen, flüchtigen Moment vor einer Entscheidung. Aufleger interessiert sich für die Gleichzeitigkeit von Möglichkeiten, die uns als Betrachtende in ein Gedankenexperiment involviert.
Videoarbeiten als plastische Anschauungsmodelle
Während die Destruktion meist theoretisches Potenzial bleibt, zerspringt im Video LOVE AFFAIR (2017) tatsächlich Glas. Es zeigt in Nahaufnahme Leuchtkörper vor dunklem Hintergrund. Die Stille wird plötzlich von einem lauten Knall durchbrochen. Eine Lampe nach der anderen wird zerschossen. Die Spannungsentladung bleibt im unendlichen Loop gefangen und wird zu einem unregelmässigen, rhythmischen Atmen zwischen Anziehung und Gefahr. Anfangs reizvoll und vertraut, entwickelt Auflegers Kunst ihre volle Kraft, wenn der zerstörerische Moment der Veränderung einsetzt, tatsächlich oder gedanklich. In den menschenleeren Bildwelten werden die Objekte zum begehrenswerten Anderen, das aber eine dunkle Seite birgt. Aufleger lotet die Spannbreite von zutiefst menschlichen und existenziellen Fragen um intimste Beziehungen bis hin zu Naturgesetzen aus. Die Gegensätze, die sie sichtbar macht, liegen wie im alltäglichen Leben oft nah beieinander.
In der Videoarbeit THE GLOW (2019) sind Angelköder zu sehen, die durch Schwimmbecken gezogen werden. Verschiedene Unterwasseraufnahmen wechseln in kurzen Abständen, sodass sich Perspektive, Umgebung, Lichteinfall und Lockmittel immer wieder ändern. Zu hören ist ein rhythmisches Klackern oder Klicken, das manchmal zu den Bewegungen passt, dann wiederum asynchron ist. Es handelt sich um Filmausschnitte aus Angel-Tutorials, bei denen Angler*innen die verlockende Wirkung der Köder vorführen. Wie von Sirenen verzaubert, folgt man ihnen mit den Augen. Die Gummifische werden zu Marionetten in einem amüsanten Figurentheater oder zu animierten Avataren in einer digitalen Welt. Die wacklige Videospielästhetik dieser laienhaft produzierten Filme vor der Kulisse einer blau gekachelten, menschenleeren Unterwasserarchitektur wirkt apokalyptisch, und zugleich humoristisch.
Publikation
Begleitend zur Ausstellung erscheint ein bilingualer Katalog (DE/EN), der als erste wissenschaftliche Publikation zu Katja Auflegers Werk einen umfangreichen Bildteil und theoretischen Überblick samt Werkverzeichnis über ihr bisheriges Schaffen bietet. Quinn Latimer hat einen poetischen Text über die akustische und politische Dimension ihrer Arbeit geschrieben und thematisiert damit die immaterielle Seite ihrer Kunst, während sich die Kuratorin Lisa Grenzebach der allgemeinen Strategie der Künstlerin zwischen Verführung und Zerstörungslust widmet. Das Buch ist gestaltet von Grafiker und Künstler Michael Pfisterer und erscheint im Berliner DISTANZ Verlag.
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02.12.2020 - 14.03.2021
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