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Wien. Eine Stadt im Spiegel der Literatur

Als Zwischenreich von Schiebern und Spekulanten erscheint Wien in Agenten- und Spionageromanen der Nachkriegszeit; in düsteren Film-Noir-Einstellungen wurde die Unterwelt der Stadt in Graham Greenesberühmtem Film und Roman „Der dritte Mann“ (1949/1950) verewigt. Auch in Heimito von Doderers monumentalem Geschichts- und Gesellschaftsroman „Die Dämonen“ (1956) wird die Kanalisation zum Handlungsschauplatz: Hier arbeitet sich der Verbrecher Meisgeier am 15. Juli 1927, dem Tag des Justizpalastbrandes, unterirdisch bis in die Innenstadt vor. Die gesellschaftliche Atmosphäre ihrer Zeit prägnant einzufangen wusste das Autorenduo Milo Dor und Reinhard Federmannmit „Romeo und Julia in Wien“ (1954), einer in die besetzte Zonenstadt Wien verlegten Shakespeare’schen Liebesgeschichte mit tödlichem Ausgang. Der erfolgreiche Roman wurde 1956 mit Karlheinz Böhm und Anouk Aimée unter dem Titel „Nina“ verfilmt. Zum Ziel eines rechtsradikalen Anschlages und zugleich zum Medienereignis wird das Wien der 1990er-Jahre in Josef Haslingers Politthriller „Opernball“ (1995). Die Faszination des zwielichtigen Pratermilieus zeigt sich in Dorothea Zeemanns unveröffentlichtem Kriminalroman „Die Geschiedenen“ [„Dragiza“]: Im Mittelpunkt steht die Aufklärung eines Mordes im Wurstelprater. Darüber hinaus ist Wien bis heute literarischer Schauplatz zahlreicher krimineller Machenschaften. 

„Vergessenshauptstadt“

Robert Schindel hat Wien in einem Gedicht als „Vergessenshauptstadt“ bezeichnet. Die autobiografischen Erinnerungsbücher von EmigrantInnen und Überlebenden des Nationalsozialismus zeichnen dabei ein widersprüchliches Bild: Die Stadt ist Ort von Kindheit und Jugend, der mit Vertreibung und Verlust verbunden bleibt. In Hilde Spiels „Rückkehr nach Wien“ (1968), basierend auf Tagebuchaufzeichnungen aus dem Jahr 1946, erscheint die Nachkriegsstadt im Licht von opportunistischer Verdrängung und allgegenwärtiger Zerstörung. Ein Gedächtnisort ist die „Ewigkeitsgasse“ des als Fritz Mandelbaum in Wien geborenen, nach der Emigration in New York lebenden Schriftstellers Frederic Morton: In seinem Erinnerungsroman „The Forever Street“ (1984) beschreibt er die Einwanderungsgeschichte seiner Familie. Die Mandelbaums betrieben bis zur Beraubung durch die Nazis eine Metallwarenfabrik in der Wiener Thelemangasse im 17. Bezirk. Ruth Klügers in viele Sprachen übersetztes Buch „weiter leben. Eine Jugend“ (1992) ist ein schonungsloser literarischer Bericht über ihre Jahre als Kind und Jugendliche in nationalsozialistischen Konzentrationslagern. Sowohl der Nachlass Frederic Mortons als auch der Vorlass Ruth Klügers befinden sich seit dem vergangenen Jahr im Besitz der Österreichischen Nationalbibliothek und werden hier zum ersten Mal exemplarisch ausgestellt. 

Für den 1916 mit seiner Familie aus dem Osten der Monarchie nach Wien geflüchteten Psychologen, Schriftsteller und späteren Kulturpublizisten Manès Sperber war die Stadt der Schauplatz seiner politischen und persönlichen Selbstfindung. In allen seinen Büchern wird die Erinnerung an ein nicht mehr existierendes Wien von späteren Erfahrungen überlagert. 

Die Sonderausstellung „Wien. Eine Stadt im Spiegel der Literatur“ belegt sehr anschaulich: Literarische Texte formen das Gedächtnis der Stadt entscheidend mit. 

 

 








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