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Architektur

James Casebere. Flüchtig

Architektur

Als sich James Casebere (geb. 1953 in Lansing, Michigan, USA) Mitte der 1970er-Jahre künstlerisch zu betätigen begann, befand sich die Fotografie im Umbruch. Zu dieser Zeit formulierten Künstler für dieses Medium verschiedene neue Ansätze. Casebere gehört zu einer Generation von Künstlern, welche die Wahrhaftigkeit von Bildern von Anfang an hinterfragte, und für die eine Fotografie etwas anderes ist als ein Dokument.

Begonnen hat Casebere mit Darstellungen, die das etablierte mittelständische Wertesystem des Mittleren Westens der USA in Zweifel zogen. Bekannt ist sein latent gewalttätig und morbid wirkendes Foto eines Kühlschranks, in dem eine überdimensionale Gabel steckt (Fork in the Refrigerator, 1975). Üblicherweise zeigen seine detailreichen Aufnahmen selbst gefertigte Architekturmodelle aus Materialien wie Styropor, Papier und Gips. Dabei sind die Modelle eindeutig Modelle, d.h. sie verstecken die Konstruktion nicht. Über die Jahre hat Casebere mit seinem filmischen und gleichzeitig architektonischen Ansatz eine eigene, unverwechselbare Bildsprache geschaffen.

„Ich versuche, etwas zu schaffen, das eine bestimmte Art des psychischen Raums verkörpert oder dramatisiert, so dass bestimmte Vorstellungen und Erfahrungen verstärkt werden", beschreibt Casebere sein Bildverständnis. Seine Modelle verkörpern beispielhaft das architektonische Unbewusstsein einer gegebenen Raumfolge.

Mit über 50, in unterschiedlichsten Formaten und Verfahren produzierten Werken präsentiert diese Ausstellung sämtliche Perioden aus 40 Jahren seines künstlerischen Schaffens: große ein- und mehrteilige Farbfotos, schwarzweiße Silbergelatine-Abzüge, im Farbausbleichverfahren hergestellte Drucke sowie wasserlose Lithografien. Zudem präsentiert Casebere erstmals Arbeitshefte und Skizzenbücher, und eine umfangreiche Auswahl von bisher nie gezeigten Polaroid-Studien macht den Entstehungsprozess ausgewählter Werke sichtbar: von den verschiedenen Produktionsstufen bis zum fertigen Einzelbild.

Eigens für den großen Treppenaufgang der Ausstellungsräume hat Casebere ortsspezifische großformatige Werke produziert: vier Friese, die sich auf die komplexe politische Geschichte des Hauses als nationalsozialistischer Repräsentationsbau beziehen sowie das von Albert Speer für die Zeremonien des Regimes entworfene Zeppelinfeld in Nürnberg näher ergründen. Damit reihen sie sich ein in die fortdauernde Auseinandersetzung mit historisch belasteter Architektur - ein Gebiet, das sowohl James Casebere als auch das Haus der Kunst seit langem untersuchen.

Überlegungen zu Problemen der Darstellung von Architektur und Ideologie haben bereits in anderen Arbeiten von Casebere eine Rolle gespielt, etwa wenn er sich mit Thomas Jeffersons Herrenhaus Monticello in Virginia, der Arena der Akropolis von Athen, dem Sklavenschlafsaal des Topkapi-Serails in Istanbul oder den mobilen Gefängniszellen im Staat Georgia auseinandersetzt.

Geflutete und verlassene Räume - mal erleuchtet, mal dunkel -, sind regelmäßig wiederkehrende, illusionistische Motive in den Werkserien, die Ende der 1990er und Anfang der 2000er-Jahre entstanden. Casebere zeigt in „Monticello No. 3" (2001) den Eingangsbereich von Thomas Jeffersons Wohnhaus, knöcheltief von Wasser geflutet und dunkel. „Man muss hinter den Mythos davon, wofür Jefferson steht, schauen, und genau davon handelt die Dunkelheit", so Casebere.

Die Idee, Räume mit Wasser zu fluten, kam dem Künstler auf einer Reise nach Berlin, kurz nach der Wende 1989. Obwohl - oder gerade weil - in Berlin damals vor allem Aufbruchsstimmung und Begeisterung herrschte, sah sich Casebere die vernachlässigten Orte der Stadt aufmerksam an: das Abwassersystem und die U-Bahn-Stationen, die den Westen mit dem Osten verbanden. Sie brachten für ihn „das historische Unbewusstsein Deutschlands" besonders deutlich zum Ausdruck.

Bei der Überflutung von Räumen hatte Casebere ursprünglich ganz direkt auch an die Toiletten und Abwasserleitungen in den Gefängnissen gedacht. Recherchen führten ihn zu Modellzuchthäusern des frühen 19. Jahrhunderts, wie Auburn, Sing Sing und Eastern State Penitentiary in den USA. Reformer hatten damals versucht, die Erlösungsideen der Quäker in der Architektur von Gefängnissen umzusetzen. So sollte Einzelhaft die Insassen zu Einkehr, Gebet und Besserung bewegen. Doch diese Methode hatte die Zerstörung ihres Gemüts zur Folge und wurde zu etwas Monströsem. Bereits Charles Dickens hatte das Eastern State Penitentiary 1842 besucht und die Eindrücke in seinem Reisetagebuch („Notizen aus Amerika"/„American Notes") festgehalten und die Isolationshaft angeprangert.

Das Licht fällt in Caseberes Darstellungen von Zellen häufig von außen und von oben ein, durch einen einzigen Strahl. In Nachempfindung des Quäkergedankens kann dies als Möglichkeit der Erlösung durch göttliche Gnade interpretiert werden. Doch steht das Wasser wiederum als Metapher für Vergänglichkeit und das Verstreichen von Zeit; und in den überfluteten Gefängniszellen zugleich für ein System, das dem Verfall ausgesetzt ist. Für Casebere werfen die bisherigen Methoden von Bestrafung und Freiheitsentzug ein Schlaglicht auf die Spannung, die der Architektur von Gefängnissen innewohnt.






  • 30.01.2015 - 31.05.2015
    Ausstellung »
    Haus der Kunst »

    Oeffnungszeiten: Mo – So von 10 – 20 Uhr, Do 10 – 22 Uhr



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  • James Casebere Sea of Ice, 2014 archival pigment print, 96 x 126 cm, Edition of 5 with 2 artist’s proof,  Collection of Santiago Sepulveda and Gloria Cortina, Vail, CO Courtesy: the artist and Sean Kelly, New York
    James Casebere Sea of Ice, 2014 archival pigment print, 96 x 126 cm, Edition of 5 with 2 artist’s proof, Collection of Santiago Sepulveda and Gloria Cortina, Vail, CO Courtesy: the artist and Sean Kelly, New York
    Haus der Kunst
  • James Casebere Yellow Hallway #2, 2003 Digital dye destruction print, 118 x 147 cm,  Edition of 5 with 2 artist’s proofs, Courtesy the Artist and Sean Kelly Gallery, New York © James Casebere, 2016
    James Casebere Yellow Hallway #2, 2003 Digital dye destruction print, 118 x 147 cm, Edition of 5 with 2 artist’s proofs, Courtesy the Artist and Sean Kelly Gallery, New York © James Casebere, 2016
    Haus der Kunst
  • James Casebere 92nd Street Storm, 2015 Archival pigment print, 119 x 159 cm, Edition of 5 with 2 artist’s proofs, Courtesy the Artist and Lisson Gallery, London © James Casebere, 2016
    James Casebere 92nd Street Storm, 2015 Archival pigment print, 119 x 159 cm, Edition of 5 with 2 artist’s proofs, Courtesy the Artist and Lisson Gallery, London © James Casebere, 2016
    Haus der Kunst
  • James Casebere Venice Ghetto, 1991 Gelatin silver print, 102 x 76 cm, Edition 1/10, Courtesy The Jewish Museum, New York © James Casebere, 2016
    James Casebere Venice Ghetto, 1991 Gelatin silver print, 102 x 76 cm, Edition 1/10, Courtesy The Jewish Museum, New York © James Casebere, 2016
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  • James Casebere Flooded Cell #1, 2008 Digital chromogenic print, 229 x 183 cm, Edition of 5 with 2 artist’s proofs, Courtesy the artist and Lisson Gallery, London © James Casebere, 2016
    James Casebere Flooded Cell #1, 2008 Digital chromogenic print, 229 x 183 cm, Edition of 5 with 2 artist’s proofs, Courtesy the artist and Lisson Gallery, London © James Casebere, 2016
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  • James Casebere Fork in The Refrigerator, 1975 Gelatin silver print, 25 x 20 cm, Edition 9/10.  Collection of Martin Z. Margulies, Miami, Florida Courtesy: the artist and Sean Kelly, New York
    James Casebere Fork in The Refrigerator, 1975 Gelatin silver print, 25 x 20 cm, Edition 9/10. Collection of Martin Z. Margulies, Miami, Florida Courtesy: the artist and Sean Kelly, New York
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  • James Casebere Toilets, 1995 Dye destruction print, 61 x 76 inches and 122 x 152 cm, Editions of 5 with 2 artist’s proofs each, Courtesy the Artist and Sean Kelly Gallery, NY  © James Casebere, 2016
    James Casebere Toilets, 1995 Dye destruction print, 61 x 76 inches and 122 x 152 cm, Editions of 5 with 2 artist’s proofs each, Courtesy the Artist and Sean Kelly Gallery, NY © James Casebere, 2016
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